Donnerstag, 9. Juli 2015

Tomorrow & Tomorrow







Thomas Carl Sweterlitsch 
 
480 Seiten 
Heyne Verlag (14. April 2015)
diezukunft.de - Edition







Beschreibung:

Ausgelöscht

Die nahe Zukunft. Vor zehn Jahren wurde bei einem Anschlag die Stadt Pittsburgh vollständig ausgelöscht. Mithilfe eines gewaltigen Datenarchivs konnte die Stadt jedoch als virtuelle Simulation wiederhergestellt werden. Hier ermittelt John Dominic Blaxton unaufgeklärte Verbrechen, und insbesondere ein Fall lässt ihn nicht los: Das Bild einer wunderschönen Frau, die ermordet wurde, wird offenbar aus dem Archiv und damit aus der virtuellen Realität gelöscht. Auf der Suche nach Antworten stolpert Dominic über eine grauenvolle Entdeckung …

Inhalt: 
 
Vor 10 Jahren hatte ein einzelner Mann mit einem einzelnen Koffer es geschafft eine gesamte Stadt auszulöschen. Mit einem Schlag verloren die Menschen ihr Zuhause, ihre Familie und Freunde. Zurück blieben ein verstrahltes Gebiet, Trauer und eine unerträgliche Leere. 
Auch John Dominic Blaxton hat an diesem Tag alles verloren und füllt seitdem jeden Tag mit Arbeit, die er nicht wirklich ausführt, Drogen und einem Programm das ihn in eine virtuelle Version des alten Pittsburghs und so zu seiner toten Frau bringt.

Das Buch spielt in einer alternativen Zukunft, die gar nicht mal so weit weg erscheint. Die Menschen tragen Geräte, die sogenannten Adware in ihrem Kopf, welche mit ihrem Gehirn verbunden sind und somit ständigen Zugang zum Internet gewähren. Diese Dinger können je nach geldlicher Aufwendung miserabel sein oder großartige Auflösung bieten und bestimmen das Leben der Menschen. Ständig blinken Werbungen auf, werden Sendungen gezeigt oder Reklame gemacht. Sobald mit den Augen etwas in deiner Umgebung angesehen oder fixiert wird, reagiert die Adware darauf. Der Autor schafft es diese ständig digitale Welt so gut darzustellen, dass man richtig Gänsehaut bekommt. Die Realität, die der Autor so konstruiert hat wirkt auf den Leser besonders erschreckend, da sie keineswegs weit weg erscheint. Die Welt ist sowieso schon weit digitalisiert, da erscheint dieser Schritt nicht mehr besonders groß. 
Die Medien werden immer brutaler, Sex ist allgegenwärtig. Menschen brauchen immer mehr Gewalt um unterhalten zu werden und es existieren Shows wie eine Misswahl, in der die fickwürdigste Leiche gewählt wird. 
Aber diese Adware hat auch einen anderen Zweck, sie lässt das ehemalige Pittsburgh für die User wiederenstehen. In einem Archiv wurden die Erinnerungen der Menschen eingespeichert und von dort aus lässt sie sich jederzeit abrufen und darin eintauchen, um alte Erinnerungen noch einmal aufleben zu lassen. Dies soll zur Trauerbewältigung dienen, hat aber mitunter auch gegenteilige Effekte. Es kann schwer fallen Dinge loszulassen, wenn man sie jeden Tag aufs neue erleben kann.
  
Die Geschichte selbst dreht sich voll und ganz um John Dominic Blaxton. Zwar treten einige Nebencharaktere auf, doch bleiben sie genau dies; Randfiguren einer sehr fixierten Geschichte. Dies ist aber keineswegs ein negativer Aspekt, da sie dennoch sehr interessante Nebenfiguren sind, die keineswegs platt wirken, sondern ihren Teil in der Story spielen. Doch dreht sich dieser Roman einfach voll und ganz um die Hauptperson und dieser füllt sie auch vollkommen aus. Blaxton ist ein netter Kerl, der jedoch einige Probleme hat. Zum einen lässt ihn ein alter Mordfall nicht los, zum anderen hat er auch zehn Jahre später noch immer mit dem Verlust seiner Frau zu kämpfen, deren Tod er einfach nicht verkraften und überwinden kann. Deshalb flüchtet er sich in das Archiv, wo er unter Drogeneinfluss die Erinnerungen an sie noch intensiver erleben will. Dies geht auch soweit gut, bis er unter starken Drogeneinfluss aufgegriffen wird, einen Entzug machen muss und gefeuert wird. Mit einem mal bekommt er ein fragwürdiges Jobangebot, er soll herausfinden, warum eine junge Frau aus dem Archiv gelöscht wird. Sofort ist er Feuer und Flamme für die wunderschöne Albion und begibt sich auf ihre Spuren. Dabei wird er immer tiefer in eine Verschwörung reingezogen, die ihn alles kosten könnte.
JD Blaxton ist ein sympathischer Charakter, trotz seiner Eskapaden und Drogenprobleme. Er ist freundlich, von Natur aus gutherzig und so hofft man für ihn, dass alles besser wird, obwohl er zugleich einige Fehler hat und auch macht. Dies lässt seine Figur realistisch und nachvollziehbar wirken. Er ist ein ganz normaler Mensch und bleibt dies auch bis zum Ende des Buches. Er wird kein Held, schafft es nie vollständig sich von seinen Problemen zu lösen und leidet fürchterlich. Alles Gründe ihn nervig zu finden, doch ganz im Gegenteil, man fühlt mit ihm mit. Dabei merkt man zuerst gar nicht, wie er äußerlich eigentlich gar nicht beschrieben wird. Man macht sich ein Bild von ihm, dass man (ich zumindest) zur Hälfte des Buches plötzlich völlig revidieren muss. Denn erst als die Adware nicht mehr sein Leben bestimmt, ich möchte nicht darauf eingehen, woran dies liegt, da es sich dann um einen Spoiler handeln würde, beginnt der Autor auch eine Beschreibung von ihm zu geben. Das ist sehr clever gemacht, denn es zeigt nur deutlicher, wie wenig Blaxtons Leben davor in der Realität gespielt hat. Er war vollkommen eingenommen von der Adware, so dass sein realer Körper für ihn gar nicht wirklich existiert hat.
Auch die anderen Figuren sind spannend dargestellt, allen voran Albion und Sue. Beide existieren eigentlich nur in dem Archiv und werden von Blaxton idealisiert, wie er auch seine Ehefrau und ihre gemeinsame Zeit idealisiert. Erst im Verlaufe des Buches und mit der Darstellung ihres jeweiligen realen Ichs, werden sie menschlicher und somit natürlich weniger perfekt. 
 
Dies ist nicht nur als eine Kritik an das Internet, sondern auch an die menschliche Erinnerung zu sehen. Wir idealisieren sehr gerne. Wir stellen uns Dinge besser vor als sie sind oder formen uns Figuren, die perfekt sind, obwohl dies natürlich niemals erreichbar ist. Menschen sind nicht perfekt und gerade dies macht sie menschlich. 
 
Der Thriller an sich ist zwar sehr spannend, bewegt sich aber auf gewohnten Bahnen. Nachdem Blaxton die ersten Fäden entwirrt hat, ergibt sich ein Bild, dass genauso gut in jedem anderen Thriller untergebracht werden konnte. Die Geschichte ist nicht das, was dieses zu etwas Besonderen macht. Es ist die extrem realistische Darstellung einer Zukunft, die nur einen kleinen Schritt vor uns liegt. Die wir erreichen, wenn wir nicht aufpassen. Die Kritik an eine digitale Welt, die völlig einnehmbar ist, die einem die Menschlichkeit nimmt, aber zur Selbstverständlichkeit mutiert ist. Außerdem behandelt er am Rande die Themen Religion, Trauerbewältigung und Terrorismus. Dabei hat mich die Darstellung des Anschlags aus der Sicht eines Überlebenden völlig eingenommen und war extrem bewegt. So das ich dies hier einmal hervorheben musste, da sich diese Szene in mein Erinnerung gebrannt hat.

Das Ende kam wenig überraschend, war aber dennoch befriedigend. Natürlich gibt es kein Happy End, bei dem plötzlich alles gut wird, aber es ist ein passendes Ende für dieses Buch.

Fazit: 
 
Mit persönlich hat das Buch sehr gut gefallen. Es ist ein Thriller, der in der Zukunft spielt, dabei aber dennoch so nah dran ist, dass man sich gut hineinversetzen kann. Das Setting in welcher die Geschichte spielt hat mich besonders beeindruckt. Diese extrem digitalisierte Welt, die von Gewalt und Sex beherrscht wird, in der es aber auch Lichtblicke, wie Kunst gibt, hat wirklich Eindruck bei mir hinterlassen. Dies ist nicht einfach ein Thriller oder eine Dystopie, sondern eine Kritik. 
Eine Kritik an den Medien, an das Internet und an die Menschen selbst. Es zeigt, wie schnell man sich verlieren kann, wenn man es nicht schafft loszulassen und wie alles in einen Abgrund gerissen wird, wenn sich von Vergangenen nicht lösen kann.
Ein wirklich spannendes, intensives Buch und eine echte Leseempfehlung, nicht nur für Fans von Dystopien.


Copyright © Julia



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