The Unwritten Tales



Vorwort

Was macht eine Geschichte eigentlich real? Was braucht sie damit Leute sie glauben können? Sie als das begreifen was sie ist?
Als Kind hatte man den Kopf noch voller Flausen. Man glaubte alles, was die Erwachsenen einen erzählen. Ganz egal wie verrückt die Geschichte war.
Man glaubte, dass Feen auf Einhörnern durch die Wälder reiten. Das böse Hexen aus Eifersucht arme Prinzessinnen verfluchen, nur damit diese von einem Prinz auf einem weißen Pferd gerettet werden kann. Man glaubte an Drachen und Helden. An verwunschene Frösche und griesgrämige Zwerge.
Und wäre man als Kind ins Bett gegangen, ohne noch einmal unter dem Bett oder im Schrank nachzusehen, ob sich dort niemand versteckt?
Doch irgendwann hört jedes Kind auf zu träumen.
Irgendwann schauen einen die Eltern an und sagen, dass es jetzt Zeit wird erwachsen zu werden. Dann vergisst man die Monster unter dem Bett. Man glaubt nicht mehr an die hübsche Prinzessin oder an den stattlichen Prinzen.
Dann verbannt man all die mystischen Wesen, die einem die ganze Kindheit über begleitet hatten, ins Reich der Fantasie. So lange redet man sich ein, dass es all das woran man so lange festgehalten hatte nicht existiert, bis man selbst nicht mehr daran glaubte.
Doch ab und zu erwischt man sich dabei, wie man sich doch nach einem Schatten umdreht, oder trotz besseren Wissens unter dem Bett nachsieht, bevor man schlafen geht. Man greift immer häufiger nach den Märchenbüchern oder Fantasyfilmen. Und heimlich träumt man nachts, wie man selbst der Prinz oder die Prinzessin ist und gegen schreckliche Ungeheuer kämpft.
Ich selbst war schon immer ein Mensch mit ,,zu viel“ Fantasie, wie meine Eltern gerne betonten. Ich bin nie wirklich erwachsen geworden. Vielleicht ist genau das auch der Grund warum gerade mir das alles passierte.
Nun, jammern möchte ich hier auf gar keinen Fall, denn all das hatte doch einen Sinn. Ich war ein Blatt umher getrieben vom Wind und erst meine Erlebnisse brachten mich auf den richtigen Weg. Gaben mir einen Sinn im Leben.
Wenn ihr meine Geschichte erfahren möchtet, dann bitte ich euch, kehrt in eure Kindheit zurück. Um all diese Erlebnisse begreifen zu können, müsst ihr an das glauben, was unglaublich scheint. Ihr müsst euch öffnen für die Märchen und Geschichten. Nur dann kann ich euch mitnehmen auf meine Reise. Und vielleicht erfahrt ihr auf dieser auch, was euch im Leben wichtig ist und wo euer Platz ist.
Dies ist eine Geschichte voller Abenteuer und Geheimnisse. Eine Geschichte voller Mystik und Märchen. Eine Geschichte voller Hoffnung und Romantik. Eine Geschichte voller Liebe. 


1. Teil
Zev

Eigentlich war es doch ein ganz normaler Morgen gewesen. Er hatte seit Tagen nicht schlafen können. Eine Unruhe hatte sich in seinem Geist eingepflanzt und wuchs dort stetig heran. Er wusste, dass es eine Vorahnung war. Früher hatte er oft solche Vorahnungen gehabt. Das hatte ihn schließlich so erfolgreich gemacht. Auch lange nach dem großen Krieg und der Umwandlung die danach folgte. Doch in letzter Zeit waren sie rar geworden. War dieses Leben nur noch eine Erinnerung gewesen. Doch jetzt kamen diese Gefühle weder. Und nicht nur die. Er blickte in den Spiegel und betastete sein Gesicht. Er sah müde aus. Erschöpft. Aber doch irgendwie jünger. Sein Gesicht hatte an Falten verloren und schien seine alte Jungenhaftigkeit wieder zu entdecken. Er seufzte. Irgendwann musste das ja passieren. Sein Leben war einfach zu ruhig gewesen. Zu langweilig. Aber gut Wenn der Sturm losbricht war er bereit. Er war schon immer bereit dafür gewesen. Seit er dieses Leben angenommen hatte, war er bereit, denn er wusste, dass dies alles nur die Ruhe vor dem großen Sturm war. Er wand sich vom Spiegel ab. Der Tag musste weitergehen, so wie jeder Tag weiterging. Wie hätte er ahnen können, dass dieser Tag erst der Beginn war. Das genau diese Entscheidung sein Leben und das Schicksal verändern wird.
Er arbeitet schon seit geraumer Zeit an der Universität. Er mochte es Professor zu sein. Es war seiner früheren Tätigkeit ziemlich ähnlich, obwohl es wohl etwas gemeinnütziger und besser war. Obwohl es ihm natürlich nicht darum ging irgendwelches Wissen an irgendwelche dämlichen Studenten weiterzugeben. So gut konnte er dann doch nicht werden. Die Studenten waren ihm sogar herzlich egal. Er würde auch vor einem komplett leeren Saal referieren. Das wäre ihm sogar lieber, aber natürlich ging das nicht. Also redete er und redete und genoss die Aufmerksamkeit die ihm geschenkt wurde. Das Klausuren korrigieren schob er den anderen Mitarbeitern zu. Er hatte es einmal gemacht und er hatte es gehasst. Heutzutage war aber alles einfacher. Man konnte einfach ein paar Daten in den Computer einlesen und schon  konnte er alles für einen erledigen. Wie immer war er vor seinen Studenten im Vorlesungssaal und genoss die Stille bevor sie kamen. Immer mussten sie reden. Das war wohl ein Generationsproblem.
Denn jeder neue Jahrgang schien jünger und lauter zu werden. Überall klingelten Handys oder die Musik dröhnte aus den Kopfhörern. Sie redeten unaufhörlich, tippten auf ihren Telefonen oder Laptops herum. Jeder der Studenten hatte einen solchen. Der gute alte Stift wurde schon längst nicht mehr verwendet. Oft blickte er nicht in Gesichter, sondern auf eine graue oder silberne Wand. Als er seine Aktentasche auf den Tisch stellte, bemerkte er, dass sein grauer Anzug leicht spannte. Er trug immer graue Anzüge, was ihm in der Universität auch einen gewissen Ruf eingebracht hatte. Dazu gehörte auch, dass die Anzüge immer perfekt passten. Er war ein akkurater Mensch und verlangte dies auch von seinen Studenten. Ein kleiner Seufzer entwich ihm. Wenn das so weiterging, musste er einkaufen gehen und er hasste es einkaufen zu gehen. Als er die Tasche geöffnet hatte, blickte er auf dessen Inhalt. Das tat er immer, um sicher zu gehen, dass alles da war. Er griff in die Innentasche, erfühlte das Medaillon und zog seine Hand sofort wieder zurück.
Dann kamen die ersten Studenten. Die üblichen Verdächtigen tauchten wie immer als erstes auf, setzten sich auf ihre Stammplätze und verbargen ihre Gesichter hinter ihren Computern. Er stand an seinen Tisch gelehnt und betrachtete wie der Raum sich langsam füllte. Manche der Studenten blickten ihn an. Einige nickten zur Begrüßung, andere trauten sich sogar ihn mit einem kleinen Lächeln zu begrüßen. Doch die meisten wichen seinem Blick aus und setzten sich, die Augen auf den Boden oder auf das Handy gerichtet auf ihren Platz. Er war nicht sonderlich beliebt bei seinen Studenten, oder überhaupt bei dem Universitätspersonal. Bei den Studenten galt er als besonders streng, kaltherzig und etwas angsteinflößend. Die anderen Professoren und Dozenten konnten nichts mit seiner stillen abweisenden Art und seinem kalten Blick anfangen. Ihm war das ganz recht.
Er hasste es sich mit diesen Einfaltspinseln unterhalten zu müssen, die dachten nur weil sie einen Titel hatten waren sie über alles und jeden erhaben. Sein Blick schweifte über die Sitzbänke, die jetzt fast vollständig gefüllt waren. Er schaute in die Gesichter seiner Studenten und zählte alle nach. Jeden einzelnen von ihnen kannte er mit Namen und konnte ihnen bereits Eigenschaften und Charakterzüge zuordnen. Er war gut in so etwas, war er schon immer und er hatte jedes Mal mit seiner Einschätzung recht behalten. Obwohl er so unbeliebt war, hatte er nie Probleme damit seine Vorlesungen voll zu bekommen. Ganz im Gegenteil, meistens waren sie sogar so voll, dass einige Studenten auf den Treppen sitzen mussten. Die anderen Professoren hatten früher gefragt wie er das mache, doch seine sarkastischen Antworten ließ sie verstummen. Er war einfach ein guter Erzähler. Dies war natürlich hilfreich, wenn man über Literatur sprach. 
Als alle da waren, er konnte dies stets mit einem Blick erkennen, verschränkte er die Arme vor seiner Brust. Dies hatte sich als das Zeichen etabliert. Sofort verstummten alle Studenten, als wären sie ausgeschaltet worden. Nur noch das Summen der Computer war zu hören. Er räusperte sich, wie jedes Mal. ,,Nachdem wir uns letztes Mal mit den griechischen Mythologien beschäftigt haben, wenden wir uns in den nächsten Vorlesungen einem moderneren Thema zu. Den deutschen Märchen.“ Ein Raunen ging durch den Saal. Einige beschwerten sich dadurch über das Thema, andere freuten sich darauf und manche lachten sogar über den kleinen Witz den er gemacht hatte. .,,Nun, was wisst ihr denn über Märchen?“ Es war wie immer. Erst meldete sich niemand, denn sie hinterfragten die Frage. Sie war zu einfach. Worauf wolle er nur hinaus? Doch wenn sich eine mutige Person meldete, taten es die anderen ihr nach. Und er wusste genau wer sich zuerst melden würde. Doch auf einmal ging die Tür auf. Verwundert blickte er auf, es fehlte doch heute niemand. 
Und da stand sie verlegen am Beginn der Treppe. Der ganze Kurs hatte sich zu ihr umgedreht und starrte sie an. Ihre Wangen färbten sich rot, als sie von einem Gesicht zum anderen Blickte und zuletzt an seinem hängen blieb. Sie bedachte ihn mit einem so wahren und echten Lächeln, dass sein Herz für einen kurzen Moment aussetzte. ,,Es tut mir leid. Ich hatte mich verirrt.“ Erst jetzt bemerkte er, dass sie schneller atmete. 
Sie musste wohl gerannt sein. Er verschränkte die Arme wieder und mustere sie misstrauisch. 
Er hatte sie ganz sicher noch nie hier gesehen. Und von einer neuen Studentin hatte er auch nicht gehört. Fiebrhaft überlegte er, was er jetzt tun sollte. Einerseits fühlte er sich geschmeichelt über jeden Zuhörer, doch andererseits bezahlten alle anderen Studenten dafür, den Kurs zu besuchen. Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass auch sie eine ähnliche Pose wie er eingenommen hatte und dreist zurückstarrte. So als wollte sie sagen, entscheide dich endlich wir haben doch nicht den ganzen Tag zeit. ,,Was stehst du da noch rum, du hast den Unterricht genug gestört.“Geduzt. Er hatte sie geduzt. Dieser Gedanke kam ihm plötzlich und verursachte sofort eine Gänsehaut, die sich über seinen ganzen Körper zog . Seit seiner Anstellung als Professor hatte er niemanden mehr geduzt. Seit ihrer Trennung hatte er niemanden geduzt. Sie setzte sich in die hinterste Reihe und er musste sich kurz umdrehen, um sich wieder zu sammeln. Das konnte doch nicht sein, dass jemand ihn so aus der Fassung brachte. Das durfte nicht sein. Das durfte er nicht zulassen.,,Also wir sprechen heute über deutsche Märchen.“

Als die Vorlesung vorbei war, sammelte er seine Unterlagen ein, als sie plötzlich vor seinem Schreibtisch stand. Er hatte sich hinab gebeugt, um seine Tasche auf den Tisch zu legen. Zuerst hatte er sie auch nur aus dem Augenwinkel gesehen und überlegt fieberhaft, wie er sie am besten darauf hinweisen sollte, dass sie den Kurs nicht noch einmal besuchen durfte. Doch als er sich wieder aufrichtete und unvermittelt erneut in ihr lächelndes Gesicht blickte, konnte er nichts der gleichen sagen. Ihre schwarzen Locken fielen in fast schon zu perfekten Wellen über ihre Schultern und ihre hellblauen Augen glitzerten wie Diamanten. ,,Ja?“ Er versuchte möglichst viel Verachtung in seine Stimme zu legen. ,,Ich wollte mich entschuldigen.“ Er hob eine Augenbraue und blickte sie ungläubig an. ,,Alles Studenten schwärmten von diesem Kurs und da mich das Thema deiner Vorlesung besonders interessiert, wollte ich einfach nur einmal zuhören.“ Sie hatte ihn gerade geduzt. ,,Ich dachte es würde ja nicht auffallen, wenn ich mich einfach unter die Studenten mische. Aber das hat ja nicht ganz funktioniert.“ Ihre weiße Haut färbte sich rot, während sie betreten auf den Boden blickte.  ,,Ich hätte es trotzdem gemerkt.“ Er hatte angefangen seine Papiere in die Aktentasche zu sortieren. Dabei hatte er unauffällig über die Ausbuchtung der Innentasche gestrichen. Irritiert schaute sie ihn an.,,Ich kenne jeden Studenten in meinem Kurs.“ ,,Wirklich? Wow.“ Sie war sichtlich beeindruckt. Das freute ihn irgendwie. ,,Wenn das so ist. Es tut mir leid." Sie ahmte eine verbeugende Geste nach. ,, Ich wollte deine Vorlesung nicht stören und keine Sorge, ich komme nächstes Mal nicht wieder.“ Er hatte seine Tasche gepackt und warf sie sich über die Schulter. ,,Du kannst ruhig wiederkommen. Auf die eine Person kommt es auch nicht an.“ Dann ging er so cool und uninterssiert wie möglich an ihr vorbei. Als er bereits and der Treppe war, hört er sie hinter sich sagen. ,,Dankeschön.“ Er winkte ab und ging, ohne sich noch mal umzudrehen. 

Den gesamten restlichen Tag stand er vollkommen neben sich. Auf nichts konnte er sich konzentrieren. Erst hatte er noch in der Universität gesessen und sich in die Kontrolle von Hausarbeiten gestürzt. Eine Aufgabe, die er diesmal nicht hatte abgeben können und zum ersten Mal war er  ganz froh darüber. Doch bereits bei der Ersten erwischte er sich dabei einen Satz über die Verwandlung Daphnes immer und immer wieder zu lesen, ohne ihn auch nur einmal wirklich gelesen oder verstanden zu haben. 
Zuerst war ihm nicht ganz klar, was ihn eigentlich so ablenkte. Wenigstens redete er sich das ein, aber es war eine Lüge. Eigentlich kannte er den Grund für seine mangelnde Konzentration sehr genau. Nur wollte er es sich einfach nicht eingestehen. Seine Beine zitterten nervös unter dem Tisch, als er den Satz noch einmal las.  Er gab dann doch ziemlich schnell auf den Stapel Hausarbeiten zu kontrollieren. Schließlich, so sagte er zu sich selbst, hatte er auch noch später Zeit dafür. Er lehnte sich auf seinem unbequemen Bürostuhl zurück und schloss die Augen. Sofort sah er sie, wie sie da stand. Aufmüpferisch. Neckisch. Er öffnete sofort die Augen und richtet sich seufzend auf.  Es durfte doch nicht wahr sein, dachte er. Seine Gedanken kreisten immer wieder um dieses merkwürdige Mädchen. Noch nie hatte er so jemanden getroffen. Und das musste schon etwas heißen.
Sie war hübsch, das war keine Frage, aber hübsche Mädchen gab es wie Sand am Meer. Nein sie hatte irgendwas anderes an sich. Sie hatte keine Furcht, ja nicht einmal Respekt vor ihm gezeigt. Das hatte er noch nie erlebt. Wirklich noch nie. Er schlug vor Wut mit der Hand auf den Holztisch. Dabei hatte er irgendwie die Kante erwischt, so dass seien Hand plötzlich blutete.Zu spät bemerkte er, dass Blut auf die Arbeit tropfte. Die roten Punkte auf der Arbeit, die sich jetzt langsam braun färbten, lösten in ihm eine unglaubliche Wut aus. Er hasste es so wütend zu sein. Wenn der Zorn kam, dann kam auch das Fieber. Das musste er auf jedenfall verhindern und genau das kostete Zeit. Zeit die er mit anderen Dingen verplant hatte. Nachdem er seine Hand notdürftig verbunden hatte, packte er schnell seine Sachen zusammen und fuhr nach Hause.Während der Fahrt nach Hause umklammerte er sein Lenkrad so fest er konnte. Die Schuld an seiner Wut und somit an diese ganzen zusätzlichen Arbeit gab er ihr. Leise verfluchte er sie.Er beschloss, falls sie wirklich am nächsten Tag auftauchen würde, würde er sie das büßen lassen. 
Nun saß er in seinem Wohnzimmer und blickte hinaus, wie die Sonne langsam hinter den dunklen Tannen verschwand. Er hatte gelesen, seinen Lieblingsroman , was ihn doch noch  von ihr abgelenkt hatte. Doch jetzt, mit seiner dampfenden Tasse Tee in der Hand, dachte er wieder über sie nach. Er wusste nicht einmal ihren Namen. Das Zwielicht griff um sich und hüllte alles in eine trügerische Dunkelheit. Unheimliche Schatten griffen verlangend nach dem letzten Licht, welches noch versuchte zu kämpfen. Doch es würde verlieren und dann doch in der Dunkelheit verschwinden, so wie jeden Tag.Er liebte diese Tageszeit. Es erinnerte ihn an seine Heimat. An die Zeit vor seinem Leben hier.  An ein anderes Leben.
Langsam öffnete er die Terrassentür und sog die klare Nachtluft ein. Die Luft roch schwer nach Tannen und doch war sie klar und erfrischend. Es war eine Luft, die es in der Stadt nicht gab. Die nur jemand kannte, der die Wälder genauso liebte wie er es tat.Als er die Augen schloss, befand er sich wieder in dem dunklen Wald seiner Kindheit. Er erinnerte sich an die Hütte in welcher er aufgewachsen war. Einsam stand sie inmitten von hohen Bäumen und dichten Gräsern. Kaum jemand verirrte sich zu ihnen, obwohl ein Pfad gar nicht so weit vom Haus entlangführte. Sein Großvater hatte selbst diese Hütte erbaut und sein Vater hatte ihm dabei geholfen. Er selbst hatte den Wald immer geliebt.  
Er roch die Bäume und Kräuter, zu denen er schon immer eine engere Beziehung hatte, als zu irgendeinem Menschen so stark, als befände er sich direkt bei ihnen.   
Nie erinnerte er sich an die Gesichter seiner Familie. Weder an die seiner Eltern, noch konnte er sich die seiner Geschwistern ins Gedächtnis rufen. Aber das schmerzte ihn nicht.  Nie hatte er eine enge Beziehung zu ihnen. 
Als jüngster Sohn war er eher eine Belastung gewesen und sie waren froh, dass er sich im Wald alleine  beschäftigte. Es war auch einer dieser Abende gewesen. Der Herbst hatte bereits Einzug gehalten und in der Nacht konnte es bitterkalt werden. Die letzten Sonnenstrahlen versuchten sich den Weg durch den dichten Wald zu kämpfen. Die riesigen Tannen warfen schwarze Schatten auf den sowieso schon dunklen Waldboden. Die Luft roch schwer und süßlich. Er war neugierig gewesen und war viel weiter gegangen, als jemals zuvor. Voller jugendlichem Elan hatte er den Weg unterschätzt und musste nun im finsteren Wald den Rückweg finden. Er hatte nie Angst gehabt vor dem Wald, obwohl seine Eltern ihnen immer eingeredet hatten, wie gefährlich er war. Besonders in der Nacht. Doch er glaubte nicht an ihre albernen Geschichten. Dennoch konnte er an diesem Abend nicht abstreiten, dass er sich rettungslos verirrt hatte. Auf dem Waldboden konnte er nicht schlafen, dazu war es zu kalt. Er hätte auf einen Baum klettern können, aber ein guter Kletterer war er noch nie gewesen. Also lief er einfach weiter. Er wollte laufen, bis ihm etwas anderes einfallen würde. Doch plötzlich entdeckte er ein rote Licht zwischen den Bäumen. Ohne es zu wollen, ja ohne überhaupt darüber nachzudenken ging er darauf zu.Sofort schlug er seine Augen wieder auf. 
Er ließ seine Erinnerung immer genau bis zu diesem Punkt schweifen, doch weiter wollte er sich nicht erinnern. Lieber verschloss er diese Erinnerung tief in seinem Herzen. Die Sonne war nun zur Gänze verschwunden und die Finsternis hat die Welt für sich erobert. Er drehte sich um und widmete sich wieder seinem Buch. Vielleicht würde er sogar noch ein paar Seiten schaffen.
Er stand, wie an jedem Morgen mit verschränkten Armen am Pult.  In der letzten Nacht hatte er noch schlechter geschlafen, als in den Nächten davor. Sobald er eingeschlafen war, rutschte er in diese Träume ab. Dunkle Träume. Schreckliche Träume. Mörderische Träume. Die schwarzen Augenringe hatten ihn heute Morgen aus dem Spiegel regelrecht angestrahlt. Aber so schlecht er auch wieder geschlafen hatte und so tief seine Augenringe waren, die Fältchen darüber und darunter waren nur noch eine Ahnung von dem was sie noch vor ein paar Wochen waren. Lange hatte er sich vor dem Spiegel aufgehalten. Er hatte an seinem Gesicht herumgezupft, es glatt gestrichen und in Falten gelegt. Immer und immer wieder. 
Es ließ sich nicht abstreiten, er so mindestens fünf Jahre jünger aus. Wenn das so weiter ginge, würde er bald so jung aussehen, wie seine Studenten. Das würde dann selbst denen auffallen.Deshalb war er auch zu spät dran gewesen. Seine Gedanken waren von seiner Veränderung und die daraus folgenden Konsequenzen besessen gewesen, dass er nicht nur zu spät aus dem Haus kam, sondern noch beinahe einen Autounfall verursacht hätte. All das führte dazu, dass er erst kurz vor Beginn der Stunde in den Raum trat, welcher bereits gut gefüllt war. Jedoch saßen die Studenten nicht, wie gewöhnlich auf ihren Plätzen. Sie hatten sich in einer Ecke versammelt und seine Ankunft zuerst gar nicht bemerkt. 
Voller Wucht musste er seine Tasche auf den Tisch knallen, damit diese aufschreckten und den Blick auf das Objekt ihres Interesses freigaben. 
Da stand sie. Vollkommen cool gegen die Wand gelehnt. Die Hände in die Taschen ihrer Stoffhose gesteckt, welche definitiv zu dünn war für diese Jahreszeit. Ihre Locken hatte sie zu einem Zopf geflochten, der erst verdeutlicht, wie lang ihre Haare eigentlich waren. Die anderen Studenten setzten sich sofort auf ihre Plätze, als sie bemerkten, dass ihr Professor sie anstarrte. Nur sie wieder nicht. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, lächelte ihn auf ihre unglaublich direkte Art an und schlenderte gewollt langsam auf einen Platz in der hintersten Reihe zu. Er fixierte sie mit zusammengepressten Lippen. Am liebsten hätte er sie wieder weg geschickt, aber diese Blöße konnte er sich vor den anderen Studenten nicht geben.
Also stand er an seinem Pult, bedacht sie nicht wieder anzusehen und wartete auf die letzten Eintreffenden. Die Vorlesung begann wie immer, nur dass er sich die ganze Zeit beobachtet fühlte. Was irgendwie ein total bescheuertes Gefühl war, da ihn ja hundert Augenpaare anstarrten. Doch noch nie hatte er sich beim Unterrichten so unwohl gefühlt. Natürlich wusste er auch wer Schuld war. Er versuchte aber vehement seine Augen nicht die Richtung ihres Sitzplatzes schweifen zu lassen. Nach Beendigung der Stunde blieben die Studenten auf ihren Plätzen sitzen und zwar alle. Dies war ein so untypisches Verhalten, dass er stutzig wurde und diese grimmig ansah. Plötzlich erhob eine Studentin die Hand. Es war Miss Luis, oder Mary, wie sie von den Studenten gerufen wurde. Sie meldete sich immer als erstes zu Wort oder war die erste, welche die Hand hob. Die Studenten hatten sie zu ihrer inoffiziellen Sprecherin ernannt. Er mochte sie nicht.
,,Ja?“, fragte er skeptisch und unzufrieden. Ihm schwante böses und als durch den Raum blickte und in ihre grinsendes Gesicht sah, wusste er auch, wer der Auslöser für dieses merkwürdige Verhalten war. ,,Mr. Tell, wir haben festgestellt, dass in dem Stadtmuseum eine Ausstellung mit dem Thema ,Grimms Märchen in der Kunst! läuft. Da hatten wir uns gefragt,“ sie blickte sich hilfesuchend im Raum um, doch niemand wollte ihr das Opfer abnehmen und für sie weiter sprechen. Sie holte einmal tief Luft und sprach hastig weiter. ,,ob sie nicht mit uns zu dieser gehen wollen.“ ,,Da es doch so gut zu unserem Thema passt.“, fügte sie schnell noch hinzu. Er presste nachdenklich die Lippen aufeinander. 
Eigentlich hatte er keine Lust mit den Studenten einen Ausflug zu unternehmen. Dies war immer mit so viel unnötigen Stress und Papierkram verbunden. Aber auch er hatte von dieser Ausstellung gehört und wäre da auch gerne hingegangen. Alleine. Mit den Studenten zu gehen bedeutete, dass er sich noch Aufgaben für sie überlegen musste und diese später auch abfragen müsste. Aber andererseits könnte er den Eintritt so von der Universität bezahlen lassen und sogar während der Unterrichtszeit diese Ausstellung besuchen. Er müsste nicht seinen kostbaren Abend dafür opfern. Nachdenklich ließ er seinen Blick durch den Raum gleiten. Er blieb bei ihrem Gesicht hängen. Im Gegensatz zu allen anderen starrten sie ihn nicht erwartungsvoll an, sondern hatte ihren Blick auf ihren Tisch gerichtet. Als er sie ansah, hob sie den Kopf und lächelte ihn an.
Zev schüttelte sich leicht.  ,,Nun gut. Wenn ihr die Ausstellung sehen wollt, dann werden wir das halt tun.“ Gemurmel breitete sich im Saal aus. ,,Wir gehen morgen statt dieser Stunde ins Museum. Bringt bitte einen Block und einen Stift mit.“ Er ging zur Tafel und begann zu schreiben. 
,,Jeder wird sich ein Gemälde oder Plastik zu einem Märchen aussuchen und darüber schreiben,wie es das Märchen adaptiert. Darüber haltet ihr dann in der nächsten Woche einen viertelstündigen Vortrag.“ Diesmal erhob sich ein lautes Stöhnen. Einige bereuten es jetzt schon diesem Vorschlag beigepflichtet zu haben. Er selbst aber war begeistert von diesem Einfall. So hatte er sowohl in der nächsten Woche vorbereiteten Unterricht, als auch am Beginn des Semesters die ersten Noten. ,,Dann erwarte ich euch Morgen alle um halb Zehn vor dem Museum.“ Damit beendete er die Vorlesung und begann demonstrativ seine Zettel und Bücher in die Tasche zu packen. Sofort hörte er, wie unter den Studenten Unruhe aufkam, da jeder von ihnen so schnell wie möglich aus dem Raum wollte. Er hatte niemals verstanden, warum sie immer so schnell in Hektik geraten. Aber das taten alle Generation die er bereits unterrichtet hatte. Jeder Student möchte der Erste sein, der aus dem Raum kam, nur um dann draußen auf dem engen Flur auf die anderen Studenten zu warten. Diese Logik war ihm noch nie verständlich gewesen und wird es wohl auch nie sein.
Er spürte sie zu sich heran kommen, noch bevor er ihre Schritte hörte und ihren Schatten sah. So gemächlich wie möglich packte er seine Tasche, doch so sehr er auch ihre Geduld forderte, sie blieb stehen. Ihre Hände hatte sie auf den Tisch gelehnt, um ihm verständlich zu machen, dass sie darauf wartete, dass er ihr endlich Beachtung schenkte.
Erst als er wirklich jede Kleinigkeit sorgfältig eingepackte, die Blätter alle noch einmal durchgeschaut und dann die Tasche übertrieben langsam geschlossen hatte, blickte er zu ihr auf. In ihrem Gesicht zeigte sich keine Spur von Ungeduld. Stattdessen lächelte sie ihn offen und aus ganzem Herzen an. Ihre Augen strahlten, als er sie anblickte. ,,Hey.“ Ihre Stimme war wie flüssiges Gold, als sie ihn begrüßte. ,,Ja?“ Wieder versuchte er so abfällig und gemein wie möglich zu klingen. Was nur wollte dieses Mädchen von ihm? Warum konnte sie ihn nicht in Ruhe lassen? Interessiert an ihn konnte sie ja wohl nicht sein. Zum einen war er eindeutig zu alt für sie, zum anderen hatte noch nie eine Frau ihn anziehend gefunden. Keine bis auf die eine.
Was also konnte dieses überaus hübsche Mädchen dazu bringen, mit jemanden wie ihm reden zu wollen? ,,Maelle.“ Automatisch legte sich seine Stirn in Falten und blickte sie fragend an.
Augenblicklich hasste er sich dafür. Es zeigte Interesse und das war der letzte Eindruck den er vermitteln wollte. Ihr Lächeln dagegen wurde nur noch breiter. ,,Mein Name. Ich heiße Maelle.“
,,Zev.“, antwortete er schnell. Dann fügte er hinzu ,, Professor Doktor Zev Tell.“ Zum ersten Mal seit er ihr begegnet war erstarb ihr Lächeln und sie hob skeptisch fragend ihre rechte Augenbraue. Er wollte irgendwas sagen, um ihr Lächeln wieder zu bringen, auch wenn er wusste, dass er das eigentlich nicht wollen durfte. Während ein Kampf in seinem Inneren tobte, der durch dieses zauberhafte Wesen ausgelöst wurde, entspannte sich deren Gesichtsausdruck zusehends wieder. ,,Du siehst nicht gut aus.“ Irritiert zuckte er zusammen und trat sogar ein Schritt zurück. Augenblicklich erhob sie entschuldigend die Hände. ,,Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzten. Ich wollte nur sagen, dass du irgendwie krank aussiehst.“ Er runzelte die Stirn. ,,Du machst dir Sorgen?“ Sie nickte und dabei entstand ein leichtes Lächeln um ihre roten Lippen. ,,Warum?“ Die Frage kam sogar noch härter und strenger heraus als beabsichtigt und diesmal war es Maelle die irritiert einen Schritt zurück trat. Ihre Augen weiteten sich und ihre Miene wurde mit einmal Mal ängstlich.  Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und lief fast schon rennend davon.  Er erhob seine Stimme, um sie zurück zu rufen, doch sagen konnte er Nichts. Was hätte er ihr sagen sollen? Wie hätte er seinen Ausbruch für sie verständlich erklären können? Eine Entschuldigung war schon seit so vielen Jahren nicht mehr über seine Lippen gekommen, dass er gar nicht mehr dazu in der Lage war.Was hatte dieses Mädchen nur an sich, dass er nach so langer Zeit wieder diese Gefühle hatte. Trauer und Schuld. Er wusste aus Erfahrung, dass diese Emotionen eigentlich nur das Resultat ganz anderer waren. Zev hatte sich auf seinem Stuhl fallen lassen und das Gesicht in den Händen vergraben. Das durfte alles nicht wahr sein. Sie hatte es auf ihre schreckliche Art und Weise geschafft, dass er sich tatsächlich für sie interessierte. Das er Gefühle für sie hegte. Doch er wusste auch, dass er solche Gefühle nicht haben durfte. Das letzte Mal als er Gefühle für jemanden entwickelt hatte, wahre Gefühle,reine Gefühle, war so lange her und hatte so schrecklich Folgen gehabt.
Ganz unvermittelt hörte er wieder den Wind toben. Er hatte an seiner Kleidung gerissen.
Damals im Wald. Er hatte ihren roten Umhang um ihre schlanke Gestalt tanzen lassen, als sie sich zu ihm herunter gebeugt hatte. Es war das erste Mal, dass er eine andere Frau, als seine Schwestern oder seine Mutter gesehen hatte. In seinen Augen war sie ein Engel, der auf die Erde geschickt wurde, um ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien. Um ihn unversehrt nach Hause zu führen. Ihre blutroten Lippen bewegten sich, doch durch den Wind konnte er nichts hören, weshalb sie sich noch ein Stückchen näher zu ihm hinunter gebeugt hatte. Zev hatte ihren Duft aufgezogen, wie ein Ertrinkender die Luft. Sie hatte wie der Wald gerochen. Der Duft von frischen Tannennadeln und feuchtem Moos verbanden sich auf ihrem Körper zu einem herrlichen Aroma, welcher ihn sofort verzaubert hatte. Ruckartig öffnete er die Augen, doch ihr Geruch hing noch immer in seiner Nase. Umgab ihn. Zev schüttelte sich und stand so schnell wie möglich auf. Er hasste es an sie erinnert zu werden. Er hasste sie. Schnell verließ den Raum mit festen Schritten. Am liebsten wäre er gerannt, doch das konnte er sich auf dem Universitätsgelände nicht erlauben. In diesem Moment aber wusste Zev ganz genau wohin er gehen musste. Wohin er gehen konnte, um Maelle und vor allem um sie wenigstens für eine Weile zu vergessen. Es gab nur einen Ort, an dem er, er selbst sein konnte, wenn auch nur für ein paar Stunden. Er setzte sich in ein Auto und fuhr hinaus. Hinaus aus der Stadt. Hinaus über die Dörfer. Immer weiter. Hinaus aus dieser Welt.
Er parkte sein Auto vor der alten Hütte.Sie lag einsam mitten in diesem dunklen, alles umschließenden Wald.Die mächtigen Tannen waren uralt und ragten stark und standhaft in den Himmel. Zev stieg aus und atmete einmal tief ein. Sofort formten sich seine Lippen zu einen glücklichen Lächeln. Dies war der Ort an dem er sich auf der ganzen Welt am wohlsten fühlte.Hier war es fast wie früher. Langsam schritt er um die alte Hütte herum. Sie war von der Witterung stark angegriffen und sah aus, als ob sie jeden Moment einbrechen würde. Aber er wusste es besser. Sie stand schon immer so da. Wie er war sie gefangen in der Zeit. Vorsichtig öffnete er die Tür, die wie immer ungewöhnlich leise und leicht aufsprang. Innen war es dunkel. Viel dunkler als es sein dürfte. Alles war von einer dicken Staubschicht bedeckt. Er setzte sich auf dem Bett nieder, das verlassen in der Ecke stand. Es knarzte laut und gab verdächtig unter seinem Gewicht nach. Doch es konnte nicht nachgeben. Er lehnte sich zurück. Das warme Holz wärmte seinen Rücken. Er schloss die Augen.
Fast sofort spürte er die Hitze des Feuers und konnte das knistern des brennenden Holzes hören. Als Kind hatte er das stetig brennende Feuer geliebt. Niemals durfte es ausgehen. Feuer bedeutete damals Leben. Er roch wie der Rauch die Hütte einnahm, da der kümmerliche Abzug nie mit ihm fertig geworden war. 
Seine Mutter saß auf dem Schößel nahe beim Feuer, damit der Schein ihr beim spinnen half. Vater war meist draußen und jagte oder tat andere Arbeit, die nur Männern vorbehalten war. Er hatte Zev nie mitgenommen. Nur seine älteren Brüder. Die Mädchen kochten oder flickten Kleidungen. Auch dabei durfte er nicht helfen. Also saß er am Abend oft neben dem Feuer und beobachtete seine Mutter und das Spinnrad.
Während es unablässig drehte, erzählte sie Geschichten, denen alle in der Hütte begierig lauschten oder sie sang. Oft handelten diese Lieder ebenfalls von alten Geschichten und Sagen. Von verwunschenen Prinzessinnen und bösen Hexen. 
Bei dieser Erinnerung bildete sich unwillkürlich ein Lächeln um Zevs Lippen. Welche Ironie.
Doch trotz allem was danach geschehen war, er hatte diese Momente geliebt. Niemals wieder hatte er sich so geborgen und glücklich gefühlt, wie zu dieser Zeit.
Doch auch hier, in dieser Hütte hatten sie zusammen gesessen, an dem Tag, als die Bestie kam. Es war ein Abend wie jeder andere. Der Schnee hatte eine dicke Schicht über den Waldboden gelegt. Die ganze Familie war zu Hause.
Mutter spinnte und Vater schnitzte ein Pferd als Geschenk für Madelein. Sie war nach ihm die Jüngste und würde bald ihren elften Geburtstag feiern. Die Mädchen saßen dicht zusammen und stickten oder nähten irgendetwas und seine Brüder stritten sich. Wie sie es immer taten, denn sie hassten es drinnen gefangen zu sein. Mutter hatte gerade begonnen eine Geschichte zu erzählen, als sein Vater durch ein Geräusch aufgeschreckt wurde.
Er bedeutete Zevs Mutter still zu sein. Als ob dies nötig gewesen wäre.
Die Bestie hatte sich die kleine Familie als ganz spezielles Ziel gesetzt und wusste wer und wie viele sich in der Hütte befanden.
Noch bevor Vater seine Waffe überhaupt ergreifen konnte, war die Bestie schon durch das offene Fenster gsprungen und hatte ihn zerfleischt.
Mit einem gezielten Biss in die Kehle hatte er alles Leben aus dem Vater gerissen.
Hatte ihn zerfetzt wie eine von Marias Stoffpuppen.
Der Rest der Familie schrie und weinte aus Verzweiflung, selbst die Jungen und versuchten zu fliehen, doch niemand entkam der Bestie. Fast niemand.
Madelein floh in dem Durcheinander. Sie rannte um ihr Leben.
Hinaus aus der Hütte und hinein in den Wald, vor dem sie sich so sehr gefürchtet hatte, dass sie niemals alleine hineingehen konnte.
Immer weiter. So weit ihre kleinen Füße sie tragen konnte und noch ein Stück weiter.
Tränen rannen über ihr rot gefärbtes Gesicht. Ihre Kleidung war voller Blut.
Das Blut ihrer Geschwister. Ihres edlen Vaters und ihrer so heiß geliebten Mutter.
Sie lief so kopflos in die Nacht, dass sie mehrmals fiel, sich aufrappeln musste und kaum vorankam. Es kostete einfach zu viel Kraft.  Sie lief so lange, bis ihre Lungen zu zerbersten drohten. So lange, bis sie keine Luft mehr bekam. So lange, bis sie erschöpft im Schnee nieder sank.  Keinen einzigen Schritt konnte sie mehr tun.  
Als er erwachte erschien die Sonne gerade hinter dem Horizont.  Er hatte noch genug Zeit nach Hause zu fahren und sich noch fertig zu machen, bevor er sich mit den Studenten treffen würde.  Als sich die Hütte im Rückspiegel langsam immer weiter von ihm entfernte, breitete sich wieder diese Unruhe in ihm aus. Diese Unruhe, die ihn schon seit Wochen begleitete und immer stärker wurde. Er musste die Hütte wohl in einem kürzeren Abstand besuchen, als bisher. Als er in der großen Vorhalle des Museums ankam, standen einige Studenten bereits in Grüppchen zusammen. Er zählte die Runde durch und musste sofort feststellen, dass sie noch nicht da war. Es tat ihm augenblicklich leid, denn es wäre sein Schuld, wenn sie nicht kommen würde. Wie von Zev erwartete ließ sie sich zu der verabredeten Zeit nicht blicken.  Fantastisch, dachte Zev, das hatte er ja wirklich fantastisch hinbekommen.  Es störte ihn zutiefst das sie nicht da war. Dabei wusste er nicht einmal warum. Schließlich müsste er eher froh sein, dass Maelle nicht da war.  Das redete er sich auf den ganzen Weg durch das Museum ein. Nicht einmal auf die Bilder konnte er sich konzentrieren und das obwohl er echt an ihnen interessiert war. Doch jedes Mal wenn er vor einem stand, erwischte Zev sich dabei, wie seine Gedanken wegschweiften und er das Gemälde gar nicht betrachtete.
Er hasste Maelle und sich selbst dafür, dass sie es trotz seiner Nacht in der Hütte schaffte, seine Gedanken vollständig zu beherrschen.
Da es für den Tag sowieso keinen Sinn mehr zu haben schien, wie er selbst beschloss, ging er zum museumsinternen Café, um sich zur Entspannung einen Kaffee zu gönnen. Er drängelte sich durch die überraschende Masse an Menschen und betrat den eigenen raum für das Café. Dort war es deutlich ruhiger und die wenigen die dort saßen waren entweder in Büchern oder Heften versunken. Und da saß sie.  Maelle saß an einem Tisch, hielt eine weiße Tasse,  aus der noch weißer Dampf kräuselnt emporstieg in den Händen und war vertieft in irgendeine bunte Zeitschrift. Sie trug ihr schwarzes Haar woffen und es floss wie glatt und lang wie Wasser an ihrer rechten Schulter herab. So wie Maelle da saß kam sie ihm irgendwie unheimlich bekannt vor, doch er konnte nicht sagen woher dieses Gefühl herrührte.
Zev stand dort, starrte sie unablässlig an und überlegte, ob Maelle irgendwie Ähnlichkeit mit ihr hatte und ja, irgendwas an diesem hübschen Geschöpf erinnerte ihn an sie.
Vielleicht war es auch genau das, was ihn die ganze Zeit so fertig machte. Weshalb sie so leicht in seine Gedanken eindringen konnte.
Ihre Ausstrahlungen waren sich sehr ähnlich. Doch Maelle war eindeutig nicht so wild wie sie. Außerdem, dass konnte er auch sagen ohne sie zu kennen, war Maelle von einer viel freundlicheren und reinen Natur. Wenn man das so sagen kann. Ihr Lächeln war so offen und so unglaublich ehrlich, dass allein die Erinnerung daran ihm Schmerzen bereitete. Er überlegte, was er tun sollte.
Ein Teil von Zev wollte zu ihr hingehen und sich für seinen Ausbruch am gestrigen Tag zu entschuldigen, aber ein anderer Teil wollte einfach nur wegrennen und hoffen, dass er sie nie wieder sehen würde.
Doch auch diese Entscheidung wurde ihm abgenommen, als sie plötzlich von ihrer Zeitschrift aufsah und ihn direkt anblickte. 
Dies wäre der letzte Moment gewesen, um sich einfach um zudrehen und zu gehen. 
Damit hätte er sie dann zwar eindeutig und wahrscheinlich für immer verschreckt. 
Aber Zev wusste nicht genau, ob er das wirklich wollte, also stand er einfach nur da.
Hielt ihren Blick stand. Ihren unglaublich grünen Augen und den unendlich vielen Fragen dahinter.
Er schien eine Ewigkeit einfach nur so dazustehen. Ihren Blick zu erwidern. 
Die Zeit war mit einmal stehen geblieben. Die Menschen um sie herum verschwammen und lösten sich vor seinem Auge auf. Es gab in diesem ganzen Saal nichts als diese saphirfarbenden Augen. Sie fixierten ihn. Hielten ihn gefangen.
Bis sich ihre Mundwinkel nach oben bewegten. Nur ganze leicht. 
Es war eine Einladung. Nur eine Einladung, mehr nicht. Zev hätte sie auch einfach ablehnen können. Dieses kleine Lächeln versprach unvergleichlich viel und verlangte dabei fast nichts. Selbst wenn er jetzt noch gehen würde, wäre sie dadurch nicht getroffen. Sie würde es einfach hinnehmen.
Tief in seinem Herzen spürte er, dass diese Entscheidung, die er jetzt traf, Konsequenzen nach sich ziehen wird. Sein Instinkt sagte ihm, dass dieser Moment, diese kurze Sekunde über so viel Dinge entscheiden würde, die noch weit aus seinem Vorstellungsbereich liegen. 
Dann erwiderte er Maelles Lächeln und trat auf sie zu. Es war keine bewusste Entscheidung gewesen. Seine Mundwinkel hatten sich wie von selbst nach oben bewegt und damit war alles entschieden gewesen. 
Sofort setzten alle Geräusche wieder ein. Die Menschen um ihn herum liefen geschäftig hin und her und unterhielten sich lautstark.
,,Hey.“ Ihre Stimme klang genauso fröhlich und hell wie immer. Ihr leichtes Lächeln war zu einem richtigen Grinsen ausgewachsen. ,,Hi.“ Zev ließ sich gegenüber auf den freien Stuhl fallen und schlug seine Beine übereinander.
,,Du siehst besser aus.“ Auf Zevs Gesicht bildete sich ebenfalls ein leichtes Lächeln, als er nickte.
,,Ich habe gut geschlafen.“ Maelle legte ihren Kopf leicht schief. In ihren Augen leuchtete echte Freude. ,,Das freut mich zu hören.“ ,,Du warst heute Morgen nicht bei dem Treffen.“ Es war eine reine Feststellung, doch Zev fürchtete, dass sie es als einen Vorwurf aufnahm, als er lächelnd verschwand und Maelle den Blick senkte. Sie begann den Becher in ihrer Hand lang hin und her zu drehen.
,,Glaubst du mir, wenn ich sage ich habe verschlafen?“ ,,Wenn du so fragst, nein, natürlich nicht.“ Sie lachte. Es klang wie das sanfte Klingen von Glocken, die hoch oben im Turm schwangen. Ein scheues Lächeln kehrte auf ihr Gesicht zurück, welches Zev jedoch nur aus dem Augenwinkel sah. Sein Blick war noch immer auf ihre Hände fixiert und den Becher der sich  unablässig drehte. ,,Ich war mir nicht sicher ob ich kommen sollte.“ Zev blickte auf und traf ihren klaren Blick. Irgendwas versuchte er darin zu finden. Eine Spur von Unaufrichtigkeit, ein Hauch von Heuchelei, doch da war nichts.  Er war von ihrer puren Ehrlichkeit erschüttert. So gerne würde Zev auch so ehrlich sein können und einfach jemanden direkt ins Gesicht sagen, was er dachte. Aber er hatte schmerzlich lernen müssen, immer überlegt zu sprechen und niemals zu offen zu anderen zu sein. Seine Gedanken und Gefühle, dass wusste er, konnten andere gegen einen verwenden. Manchmal, vor langer Zeit, hatte er sich selbst dafür gehasst. Nie hatte er echte Freunde gefunden. Nie hatte es jemanden gegeben, der ihm wirklich nah war. Außer ihr. Er schüttelte leicht seinen Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben.  ,,Hast du dir die Ausstellung schon angesehen?“ Maelle nickte leicht, sich fragend, ob die Antwort wohl dir richtige war.  ,,Und was hat dir am besten gefallen?“ Sie hatte die Tasse abgesetzt und begann, wieder mit gesenktem Kopf mit ihrem Finger auf dem Tisch Muster zu zeichnen.
,,Ich bin fasziniert von Schneewittchens Geschichte und den verschiedenen Interpretationen dieser.“Zev legte seinen Kopf schräg und versuchte ihren Blick aufzufangen. Ihre gesamte Aufmerksamkeit schien sie jedoch auf die unsichtbaren Muster auf ihrem Tisch gerichtet zu haben. Zev seufzte. ,,Warum denn gerade Schneewittchen? Es gibt doch so viele andere Märchen. Cinderella, Rapunzel oder Dornröschen, um nur die für Frauen interessantesten zu nennen.“ Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkeln, dennoch blickte Maelle nicht zu ihm auf, als sie antwortete.  ,,Jede dieser Geschichten hat ihren ganz eigenen Charme, da hast du vollkommen recht, dennoch.“ Sie stieß einen langen, nachdenklichen Seufzer aus und blickte zu ihm auf. Ihre Augen glitzernden, als sie voller Ehrfurcht weiter sprach. ,,Ich weiß auch nicht. Wie soll ich das am besten Ausdrücken? Ich fühle mich mit Schneewittchen irgendwie verbunden. So als hätte ihre Geschichte etwas mit mir zu tun.“ Maelle lachte leicht hysterisch auf und senkte ein weitere Mal den Blick. Ihre Wangen hatten sich rot verfärbt. ,,Ich weiß, das klingt dumm.“ 
Unwillkürlich griff Zev nach ihren Händen, die noch immer Kreisen gezogen hatten. Erschrocken blickte sie von seinen Fingern zu seinem Gesicht.
,,Das klingt gar nicht dumm.“ 
Sie lächelte ihn an und Zev musste es einfach erwidern. So saßen sie einige Sekunden, vielleicht auch Minuten schweigend da, bis Maelle sich plötzlich zurücklehnte und ihre Arme vor der Brust verschränkte. Verwirrt folgte Zev ihrem Blick und entdeckte einige Studenten, die gerade aus dem Ausstellungssaal traten. Schnell erhob er sich, jedoch nicht ohne Maelle noch einen kurzen dankbaren Blick zu zuwerfen. Ihre Lippen formten noch ein letztes sehr zaghaftes Lächeln,  bevor Zev sich herumdrehte und auf die Studenten zuging, welche vor der Tür warteten, um ihnen die weiteren Aufgaben, die nun auf sie zu kamen, mitzuteilen. 
Während diese ihn in einem Halbkreis umringten und er die Fragen der faulen Studierenden beantworten musste, die mehr Elan darin steckten sich von den bevorstehenden Aufgaben zu drücken, als sie jemals bräuchten um sie ohne Probleme zu meistern, spürte er Maelles Blick auf seinem Rücken. 
Es konnte natürlich auch Einbildung sein, doch das Getuschel einiger Studentinnen und die mehr oder weniger verstohlene Blicke zur Cafeteria sprachen eine deutliche Sprache. Er massierte seine Schläfen. Noch ein weiteres Problem mit dem er sich herum schlagen musste. Tief in seinem Inneren spürte Zev, dass er Maelle mochte, sogar wirklich mögen könnte, doch natürlich durfte er sich nicht Privat mit Studentinnen treffen. Es war nicht so, dass sich besonders viele Professoren an der Universität an diese Regel hielten, doch Zev wollte kein Gerede provozieren.
,,Sonst noch irgendwelche Fragen?“ 
Keiner der Studenten meldete sich, oder schien auch nur ansatzweise ein Interesse daran zu haben, noch weiterhin Zeit in dem Museum zu verbringen. 
,,Wenn das so ist, könnt ihr jetzt gehen. Wir sehen uns morgen.“ Sofort begann das Geplapper und das Gelaufe wieder, dass Zev so nervte. ,,Und denkt an eure Aufgaben. Wer morgen keine Zusammenfassung dabei hat, wird als nicht anwesend eingetragen und darf den Vorlesungssaal sofort wieder verlassen."  Ein unglückliches Raunen ging durch den Eingangsbereich des Museums, da sich die Studenten schon gut verteilt hatten. Zev glaubte sogar ein Sklaventreiber unter den leisen Gemurmel gehört zu haben. Wenn die wüssten, dachte er und legte dabei seine Stirn in Falten. Als Zev den Kopf leicht drehte, konnte er Maelles Schemen noch immer in der Cafeteria erkennen. Sie Schien auf ihn zu warten. Schnell wand er seinen Kopf wieder nach vorn und starrte zu den wenigen Kunstwerken, die er von hier noch erkennen konnte.
Ohne sich zu bewegen stand er dort, den Rücken der Cafeteria zugewandt und den Blick in die Masse von Menschen gerichtet, ohne einen von ihnen zu sehen.
In seinem Kopf schwirrten die Gedanken.
Seit wann war das alles so kompliziert geworden? Sein Leben war so einfach und ruhig gewesen und jetzt war alles durcheinander.
Zum ersten Mal und vollkommen unerwartet kam ihm der Gedanke, dass der Zeitpunkt von Maelles Auftauchen und der Rückkehr der Magie, fast identisch war. Seine Zähne presste sich beinahe schmerzhaft aufeinander, als ihm diese Erkenntnis kam. Konnte es sein, dass sie etwas mit der ganzen Sache zu tun hatte? Konnte es sein, dass sie zu ihm geschickt wurde, um ihn zu schwächen? Vielleicht soll sie sein Vertrauen gewinnen, um ihn auszuschalten? Zev schloss die Augen, dachte über ihr erstes Auftreten nach. Überlegte ob es irgendwelche Anzeichen gab, irgendwas das sie als das identifizierte was sie war. Doch so sehr sich Zev jeden Moment in Erinnerung rief, alles noch einmal durchlebte, war da nichts.

Als er seine Augen wieder geöffnet hatte, drehte sich Zev herum und fing sofort Maelles Blick ein, die ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte. In ihrem fragenden Blick lag nichts außer Sorge. Zev musste grinsen. 
Wie konnte er nur glauben, dass dieses von Natur aus gute Wesen ihm irgendeinen Schaden wollte. Zu lange war es her, dass er wirklich jemand vertrauen konnte und dies war das Resultat. Selbst wenn er spürte wie rein ein Mensch war, konnte er nicht umhin zu misstrauen. Maelle war aufgestanden und hielt ihre Tasche in ihren Händen. 
Was auch immer gerade noch auf dem Tisch lag, war scheinbar darin verschwunden. Sie deutete mit ihrem Kopf Richtung Ausgang, während ihre Augen herausfordernd blitzend. Unwillkürlich breitete sich auch auf seinem Lippen ein mildes Lächeln aus, als Zev seine rechte Hand zu einer Faust ballte. 
Noch immer spürte er ein leichtes Kribbeln in den Fingerspitzen, die Maelles warme Haut berührt hatten. Vergnügt schlenderte er zum Ausgang. In diesem Moment war ihm egal, ob noch Studenten da waren, die ihn sehen könnten. Sollen die anderen Mitarbeiter doch tratschen. Die Sekunden in der Zev ihre Hand gehalten hatte, war die glücklichste und zufriedenste seit langer, ja seit sehr langer Zeit. 
Am Ausgang hatte er Maelle eingeholt. ,,Hast du auch so einen Hunger wie ich?“ 
Ihre Direktheit war irritierend und gleichzeitig erfrischend für ihn. 
,,Jetzt wo du es sagst. Ich könnte auch etwas essen.“ 
Die Sonne schien hell und viel zu warm auf sie herab. Keine einzige Wolke, die etwas Schatten hätte spenden können, war zu erkennen. Nicht mal weiße Schleier überzogen den blauen Himmel. Es war ungewöhnlich für diese Jahreszeit, sonst hatte es im März sogar manchmal noch geschneit. Zev musste nicht lange darüber nachdenken woher diese Hitze wohl kam. Sie hatte den selben Ursprung wie seine immer wiederkehrenden Albträume und sein immer jünger werdendes Aussehen. Doch mit den Gedanken daran, wollte er sich in diesem Moment seine gute Stimmung nicht versauendeshalb schon er sie beiseite.  
,,Ich kenne ein gutes Restaurant in der Nähe, wenn du möchtest.“ 
Maelle hatte in ihrer Tasche gekramt und eine schwarze Sonnenbrille herausgezogen, die sie nun trug, als Maelle zu ihm aufblickte. 
Einerseits stand sie ihr ausgezeichnet, wie so ziemlich alles, andererseits konnte er ihre Augen dahinter nicht erkennen, was ihn wirklich störte. 
Zev könnte sich stundenlang in ihren glänzenden grünen Augen verlieren, die so unergründlich und rein waren, wie nichts anderes was er jemals zuvor gesehen hatte. ,,Wenn der Laden nicht allzu vornehm ist, bin ich zu allem bereit.“ 
,,Na dann komm, es sind nur ein paar Fußminuten von hier.“ Still lief sie neben ihm her, wobei ihr Blick immer wieder hin und her schweifte, als würde sie etwas suchen. ,,Suchst du irgendwas?“ Merkwürdigerweise schreckte sie ein kleines bisschen zusammen, als Zev sie direkt ansprach. 
,,Tut mir leid.“ Sie nahm ihre Brille ab. ,,Du musst wissen, ich komme vom Land. Und obwohl ich schon ein paar Wochen hier wohne, bereiten mir der Lärm und der ganze Verkehr doch immer noch Sorgen.“ Er lachte laut, als er nach ihrer Hand griff. ,,Na komm, dann helfe ich dir durch den bösen bösen Straßenverkehr.“ Seine Stimme hatte den Klang angenommen, den Erwachsene gerne benutzen,  wenn sie mit einem kleinen Kind sprachen, was Maelle dazu veranlasste die Augen zu verdrehen. Doch sie war keineswegs wütend oder genervt, sondern eher amüsiert. 
Das kleine Café war wirklich charmant und auch Maelle war sichtlich begeistert. Ihre Augen begannen zu strahlen, als sie sich auf die kleine Terrasse setzten.
,,Woher kennst du denn diesen Laden. Der ist ja bezaubernd.“ 
Stolz breitete sich in seinem Körper aus, was Zev unglaublich gut tat. ,,Ich habe es eher durch Zufall entdeckt, als ich einmal spazieren war. Plötzlich stand ich hier und blickte auf diesen wunderschönen Rosenstrauch.“ Zev deutete auf die Wand des Cafés an der die grünen Sträucher hinaufkletterten. 
Maelle folgten seinem Blick und Zev hoffte, dass sie sich ungefähr vorstellen konnte, was er damals gesehen hatte. 
,,Die Rosen standen in voller Blüte und das Grün wurde durch rote Punkte zu einem wunderschönen Kunstwerk ergänzt.“ Gerne hätte Zev ihr erzählt, was er an diesem Tag empfunden hatte, doch das konnte er nicht, ohne sich selbst zu verraten. Also drehte er sich wieder zu ihr herum. Maelle hatte ihre Augen geschlossen, so dass Zev in Ruhe ihr Gesicht betrachten konnte. 
Sie sah vollkommen glücklich und irgendwie selig aus. Es war das erste Mal, dass Zev sie so nah betrachten konnte. Ihre Haut wirkte in dem Licht der Sonne noch blasser und beinahe durchscheinend, wie Seide. Ihr in der Sonne glänzendes schwarzes Haar schien diese Erscheinung noch bekräftigen zu wollen. 
Plötzlich öffneten sich ihre Lider und sie drehte ihren Kopf in seine Richtung, bevor Zev überhaupt reagieren konnte. Da bemerkte er, dass ihre von weiten so perfekten Augen, kleine Sprenkel aufwiesen. 
Das gleichmäßige grün war durchsetzt von kleinen blauen Farbtupfern. 
So etwas hatte Zev noch nie bei einem Menschen gesehen. 
Eigentlich hatte er so etwas überhaupt noch nie gesehen. Maelle legte ihre Stirn in Falten und öffnete leicht ihren Mund. 
Bevor sie jedoch die Frage formuliert hatte, wurden sie durch eine hohe, beinahe kreischende Stimme unterbrochen. Die Kellnerin war zu ihrem Tisch gekommen und sah sie genervt an. ,,Also, habt ihr euch etwas ausgesucht?“ Die Dame war furchtbar unhöflich und Zev hätte ihr gerne etwas ebenso Unhöfliches an den Kopf geworfen, doch Maelle hatte sich bereits der Frau zugewandt und strahlte sie freundlich an. ,,Ich hätte gerne einen Milchkaffee und du?“ 
Während Maelle ihn direkt ansprach berührte sie zärtlich seine Hand, so das Zev sie einige Sekunden schweigend ansehen musste, bevor er stotternd antworteten konnte. Das Licht der Sonne reflektierte sich in ihren Augen und verlieh ihnen ein unvergleichliches Strahlen.
,,Ähh, ja für mich bitte auch.“ Die Kellnerin, von der Zev kaum hatte sich sich wieder abgewandt , nicht einmal mehr sagen konnte, wie sie aussah, obwohl er ihr direkt ins Gesicht geblickt hatte, hatte ein genervtes Brummen von sich gegeben und dabei auf ihren Block rum gekritzelt, während sie sich von ihnen wegdrehte und zum nächsten Tisch trottete.
Nachdem beide ihr kurz nachgesehen hatte, verdrehte Maelle theatralisch die Augen und schenkte ihm dabei wieder ihre ganze Aufmerksamkeit.
,,Erzähl mir etwas von dir.“ Sie lehnte sich zurück und ließ ihre zusammengefalteten Hände auf dem Tisch ruhen.
Zev tat es ihr nach, verschränkte jedoch seine Arme vor der Brust. Sofort kamen die Zweifel wieder, die er vor nicht mal einer Stunde verworfen hatte. ,,Was möchtest du denn wissen?“
Sie verzog ihren Mund zu einer niedlichen Grimasse und dabei blickte dabei nachdenklich Richtung Himmel. ,,Hmm.“
Zev hielt den Atem an und spürte wie seine Finger sich vor Anspannung in die Oberarme bohrten. Natürlich wusste er, dass seine Nervosität vollkommen unbegründet war. Ihm war nicht klar was genau er eigentlich zu hören erwartete. Vielleicht ein Geständnis. Oder eine Frage mit der sie sich verraten würde. Die ihm klar machen würde, dass sie doch kein normaler Mensch war. Das sie zu ihnen gehörte. Das sie nur gekommen war, um ihn auszuspionieren. Um ihn wieder auf eine Seite zu ziehen.
Doch stattdessen begann sie leicht zu kichern. ,,Warum bist du Professor geworden?“
Obwohl oder gerade weil von Zev augenblicklich jede Anspannung verflogen war,  starrte er Maelle mit offenen Mund an. Diese begann über seine Übberaschung, die ihm mehr als deutlich ins Gesicht stand herzhaft laut und offen zu lachen, bis die Kellnerin  wieder an ihren Tisch trat und Maelle mit dem heißem Kaffee unterbrach.
Keiner von beiden bewegte sich, oder sprach, bis die Kellner wieder verschwunden war und Malle sich über den Tisch zu ihm herüber beugte.
,,Naja es kann ja nicht an deiner Liebe am Unterrichten liegen, oder an der Freude jungen Menschen neues Wissen beizubringen.“ Während Maelle sprach, zwinkerte sie ihm verschwörerisch zu. Unwillkürlich musste Zev laut loslachen, bevor er sich weit zu ihr über den Tisch beugte und mit flüsternder Stimme antwortete. ,,Ob du es mir glaubst oder nicht, es liegt größtenteils wirklich an dem Wunsch Wissen zu übermitteln.“
Maelle aber winkte ab. ,,Von wegen, du hörst dich einfach gerne reden.“ ,,Ok, du hast mich ertappt.“ Zev lehnte sich wieder zurück und führte seine Kaffeetasse langsam an seinen Mund. Die Kellnerin war zwar extrem unfreundlich gewesen, aber den Kaffee konnte man sich wirklich nicht beschweren.

,,Außerdem gibt es ungemein viele Vorteile an einer Universität zu arbeiten. Nicht nur das ich für den Spaß Menschen zu quälen auch noch ein wirklich ausgezeichnetes Gehalt bekomme, genieße ich den Status den ein Professordasein mit sich führt.“ 
Nachdem Maelle ihre Augenbrauen überrascht in die Höhe gezogen hatte, begannen beide beinahe gleichzeitig zu lachen. 
Natürlich wurde er zu wirklich vielen Partys, Eröffnungsfeiern und Benefizveranstaltungen eingeladen, doch er war noch nie zu einer gegangen. Auch Maelle hatte ihn bereits so weit durchschaut, dass ihr dies bewusst war. Zev trank einen weiteren Schluck, bevor er sich wieder leicht nach vorne beugte. 
,,Aber die Studenten etwas zu quälen macht schon Spaß.“ Zev lehnte seinen Rücken wieder gegen die Lehne des Stuhles und richtete sein Gesicht der Sonne entgegen. Das warme Sonnenlicht wärmte sein Gesicht, genauso wie Maelles Anwesenheit sein Herz wärmte und seit Jahren war er das erste Mal wieder richtig glücklich. 
Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit konnte er sich eine Zukunft vorstellen, in der er zufrieden und glücklich sein würde. 
Schlecht gelaunt betrat er viel zu früh den Saal. Maelle saß bereits im Raum, als er am nächsten Tag hereinkam. 
Noch bevor er durch die Tür getreten war, blieb er abrupt stehe. In der vordersten Reihe strahlten Zev ihre rabenschwarzen Haaren entgegen. Noch nie hatte er erlebt, dass er pünktlich war und jemand vor ihm da war. Diesmal war er sogar zu früh da. 
Wieso musste sie gerade in der ersten Reihe sitzen? Ihre bloße Anwesenheit sorgte schon dafür, dass Zev sich nicht konzentriere konnte. 
Der gestrige Tag war so entspannend gewesen, dass Zevs Gedanken bevor er ins Reich der Träume entglitt, ihr gegolten hatten, was dazu führte, dass er in der Nacht seine ganze Abwehr fallengelassen hatte. Dies hatte sich dann auch schlagartig gerächt. Er atmete einmal tief durch und trat dann langsam und mit hoch erhobenem Kopf die Treppe hinunter.
Erst als er bereits auf ihrer Höhe war, drehte sie sich zu ihm herum.
Sofort blieb ihm der Atem weg und seine ganze Sicherheit verlosch. Maelle sah an diesem Tag noch schöner aus, als die Tage davor.
Vielleicht war es nur seine subjektive Einschätzung, doch ihre Haut wirkte noch heller, ihre Augen noch strahlender und ihr Haar noch schwärzer.
,,Guten Morgen.“ Das Letzte was er sah, bevor er sich wegdrehte und zu seinem Pult ging, war ihr bezauberndes Lächeln.
,,Morgen.“ Es war mehr ein Grummeln, als ausgesprochene Worte, das aus seinem fast geschlossenem Mund kam.
Wieder hatte er eine Nacht voller Albträume durchlebt. Furchterregender und intensiver als jemals zuvor. Es war irgendwann so schlimm gewesen, dass er sogar ernsthaft darüber nachgedacht hatte sich in sein Auto zu setzten und noch in derselben Nacht zur Hütte zu fahren. Aber er wusste, dass sich dies nicht lohnen würde. Also hatte er sich zur Seite gedreht und war in den nächsten schrecklichen Traum hinüber geglitten.
Dementsprechend waren seine Laune und sein Aussehen an diesem Morgen miserabel. Zev stellte seinen Aktenkoffer auf den Tisch und bemerkte so aus dem Augenwinkel Maelles sorgenvolle Miene.
,,Schlecht geschlafen?“ Ein weiteres Brummen ertönte als Antwort, womit sie sich ganz eindeutig nicht zufrieden gab, doch seine Laune hielt sie davon ab noch etwas zu sagen. Stattdessen wand sie sich wieder ihrem Blatt Papier zu, auf welchem sie mit einem Bleistift herum kritzelte. Zuerst tat Zev so, als wäre es ihm egal.
Er drehte ihr den Rücken zu und schrieb die heutigen Themen an die Tafel. Währenddessen hörte er aber ständig das scharren des Bleistiftes. Als er fertig war mit seiner Beschriftung und sogar noch einiges umformuliert hatte, drehte er sich dann doch um. Seine Neugier hatte gesiegt und so schritt er auf Maelle zu. Er stand direkt vor ihr, als sie seine Anwesenheit bemerkte und schnell ihre Zeichnung bedeckte.
Doch es war bereits zu spät. Zev hatte bereits das Bild gesehen.
Es stellte ihn selbst dar. Ihr Gesicht lief sofort puderrot an und sie blickte verlegen auf ihre Zeichnung. 

Aber da war noch weit mehr in diesem Bild. 
Er starrte hinab auf seine eigenen traurigen Augen. ,,Gefällt es dir?“ 
Es war ein verzweifelter Versuch von ihr eine andere Reaktion außer Schweigen von ihm zu bekommen. Doch er konnte nicht anders reagieren, denn dieses Bild machte ihn einfach sprachlos. Sprachlos und nachdenklich. 
,,Sehe ich wirklich so aus?“ Er zeigte auf die Zeichnung, obwohl dies absolut unnötig war. Maelle legte ihren Kopf schief und blickte ihn irritiert an. ,,Ist es so schlecht?“
 Schnell schüttelte er den Kopf. ,,Nein es ist fantastisch.“ Der rote Schimmer, welcher gerade verflogen war, übernahm wieder ihr Gesicht. Diesmal noch leuchtender als vorher. 
,,Sag mal.“ Er faltete das Blatt sorgfältig zusammen, während er zurück zu seinem Pult ging. ,,Was machst du heute Abend?“ Vorsichtig legte er das Blatt in die Innentasche seiner Tasche, zu dem Amulett.  
Maelle hatte ihn dabei die ganze Zeit beobachtet, bis er die Tasche wieder geschlossen hatte und wirkte durch den direkten Blick den er ihr jetzt zuwarf irritiert. ,,Oh, äh, nichts denke ich.“ 
Er hob eine Augenbraue. ,,Du denkst?“ Sie lachte leise. ,,Ich habe nichts vor.“ 
,,Gut, wir sehen uns um sieben vor dem Gebäude.“ 
Die ersten Studenten traten ein und Zev lehnte sich wie immer gegen seinen Schreibtisch. Er konnte Maelles irritierten Blick auf sich spüren. Diesmal aber störte er sich nicht daran. Ganz im Gegenteil. Er strahlte die ankommenden Studenten förmlich an, was diese teilweise zutiefst erschreckte. 
Eine Studentin hatte sich sogar einfach wieder umgedreht und war schnell aus dem Raum geflüchtet.
Nach dem Unterricht raste Zev so schnell es ihm durch die Verkehrsregeln möglich war nach Hause. Bis sieben blieb ihm nicht mehr viel Zeit.
Ein Kribbeln durchfuhr sein Körper, dass er gar nicht mehr zu haben glaubte. Er war selbst von seinem plötzlichen Vorschlag überrascht gewesen.
Er war so beeindruckt von ihrer Zeichnung gewesen und dem Fakt, dass sie seine Gefühlslage so perfekt getroffen hatte. Noch immer zeichneten sich die traurigen Augen in seinem Kopf ab. Doch hinter diesen hatte noch mehr gelegen. Etwas, was er in letzter Zeit selbst vergeblich im Spiegel gesucht hatte. Diesen Ausdruck den sie früher hatten. Sie hatte ihn gesehen.  
Ihm war schon vorher klar gewesen, dass sie mehr sehen konnte als andere Menschen. Das sie das erkannte, was den Meisten verborgen blieb. Woran das liegen könnte, fragte er sich zwar, doch viel mehr freute er sich darüber. 
Er wollte sie zur Hütte bringen. Ihr seine Heimat zeigen und dann würde er sehen, was für ein Mensch sie war. 
Ob sie die Erste sein könnte, nach ihr, die ihn wirklich verstand.  
Als sie plötzlich in seine Gedanken kam, verdunkelte sich sein Gesicht augenblicklich. 
Er schüttelte den Kopf. Heute wollte er nicht an sie denken. 
Die heutige Nacht wollte er sich von keiner Erinnerung zerstören lassen. 
Genau um neunzehn Uhr kam er mit seinem kleinen Auto vor dem Universitätsgebäude an. 
Er bog um die Ecke und dort stand sie. 
Völlig entspannt lehnte sie gegen die Mauer, blickte auf ihre Hände, welche einen großen Rucksack hielten und wog sich leicht im klang der Musik, die sie über ihre Kopfhörer empfing. Bei dem Anblick war Zev augenblicklich irgendwie enttäuscht.
 Er selbst war so aufgeregt gewesen, schließlich war es sein erstes richtiges Date gewesen und sie war die Ruhe selbst. 
Date, er musste schmunzeln, welch ein neuartiges Wort. Früher wäre ihm dieses nicht einmal in den Sinn gekommen. 
Als er vor ihr abbremste und zum Halten kam, lächelte sie ihn fröhlich an. 
Zev stieg aus und kam auf Maelle zu, doch einen halben Meter vor ihr blieb er abrupt stehen, als ihm klar wurde, dass er sich keine Gedanken darüber gemacht hatte, wie er sie begrüßen sollte. 
,,Du bist aber äußerst pünktlich.“ Ihr Lächeln war ungebrochen und er musste es einfach erwidern. ,,Bist du bereit für einen kleinen Ausflug?“ 
Zev nahm ihr den Rucksack ab, der noch schwerer war, als er gedacht hatte. 
,,Was hast du denn hier drin, Steine?“ Maelle lachte laut auf, als sie ins Auto stieg. 
,,Genau, damit ich mich wehren kann, falls du mich entführen willst.“ Er setzte sich an Steuer und ließ den Motor aufheulen. 
,,Da könnten dich ein paar Steine aber auch nicht beschützen.“ 
Das Auto setzte sich langsam in Bewegung und Zev dirigierte es aus dem abgeschlossenen Universitätsgelände. 
,,Ich kann sehr gut zielen.“ Jetzt war er es der auflachte. ,,Aber kannst du auch gut werfen?“ 
Ihr Hände ruhten, sich umschließend auf ihrem übereinander geschlagenen Beinen. 
Ihm fiel auf, dass sie einen silbernen Ring trug, der mit einem einzigen kleinen Diamanten besetzt war. 
Es war ein wunderschönes Stück, das sehr viel von einem Verlobungsring hatte. Maelle, seinem Blick folgend, begann an dem Ring herumzuspielen. 
Ertappt drehte sich Zev wieder der Fahrbahn zu, welche jetzt mit anderen Autos gut gefüllt war.  
,,Das ist ein Familienerbstück.“ Ihre Stimme wirkte sehr laut in der aufgekommenen Stille, obwohl es beinahe nur ein Flüstern war. ,,Es ist ein sehr hübscher Ring.“ Im Augenwinkel sah er ein Lächeln über ihre Lippen huschen. ,,Danke. Er hat meiner Mutter gehört.“ Daraufhin schwieg sie und auch Zev wusste nicht was er sagen sollte.
Sie hatte ihren Blick gesenkt und schien, mit dem Ring spielend in ihrer Erinnerung zu versinken. 
,,Was ist passiert?“ Noch immer den Ring drehend, antwortete sie ihm mit leiser Stimme.
 ,,Sie ist gestorben. Kurz nach meiner Geburt.“ Maelle lehnte sich wieder zurück und blickte gerade aus, auf die dahin ziehende Straße. 
,,Das tut mir leid.“ Langsam schloss Maelle ihre Augen und lehnte ihren Kopf gegen den Sitz. So saß sie von ihm abgewandt, den letzten Sonnenstrahlen jedoch zugewand da.  Zev hätte sich in diesem Anblick verlieren können, wenn er sich nicht auf die Straße hätte konzentrieren müssen. ,,Wohin entführst du mich eigentlich?“ Ihre Stimme wirkte schläfrig. ,,Weit weg in eine andere Welt, voller Geheimnisse und Magie.“ 
Erschrocken für sie hoch und öffnete ruckartig die Augen. Mit einem mal war sie wieder vollkommen wach. ,,Wo soll das denn sein?“ In ihrer Stimme klang die Skepsis stark durch. Zev grinste, während er das Auto auf einen kleinen Feldweg lenkte. 
,,Im verwunschenen Wald natürlich.“ Dabei zeigte er aus der Frontscheibe hinaus auf den Wald, der sich dunkel und mächtig am Horizont erhob. ,,Sehe ich das richtig, dass du mich bei unserem ersten Date nachts in einen Wald entführst?“ 
Ihre Stimme war unglaublich ernst und ihm schoss sofort der Gedanke ins Bewusstsein, dass es, so wie sie es aussprach wirklich nicht nach einer guten Idee klang. Als er jedoch das Tempo drosselte und sie fragen wollte, ob er umkehren solle, blickte Zev in Maelles breit grinsendes Gesicht. ,,Du hast ja deine Steine mitgebracht.“ Ihr schallendes Lachen erklang ,,Ganz genau.“ Der dunkle Wald umschloss das Auto gänzlich, als der Feldweg sich in einen noch engeren Waldweg verwandelte. Die letzten Sonnenstrahlen wurde vollkommen von ihm verschluckt. ,,Magst du Wälder?“ Zev nickte, als er das Auto durch die letzte Biegung manövrierte. ,,Ich bin in einem aufgewachsen.“ Die Hütte lag wie immer vor ihnen. 
Dunkel und klein schmiegte sie sich in die Umgebung ein und verschmolz so mit dem Wald. Sie sah verlassen und einsam aus, obwohl er ja erst vor einigen Tagen dort übernachtet hatte. ,,Und du? Magst du Wälder?“ Er war zuerst aus dem Auto gestiegen und hielt ihr die Tür auf. ,,Als Kind habe ich meine freie Zeit oft in dem angrenzenden Wald verbracht. Dann aber.“ Sie legte den Kopf leicht schief und blickte an der Hütte vorbei in den Wald. ,,Dann gab es ein Unglück." Sie schluckte schwer und auch Zevs Kehle wurde plötzlich trocken. ,,Vater hat dann das Betreten des Waldes verboten.“
Die Formulierung machte Zev stutzig. Es klang, als wäre es nicht nur ein einfaches Verbot gewesen, sondern etwas viel Größeres und Weitreichenderes.
,,War es denn ein schlimmes Unglück?“ Maelle drehte sich mit erschreckend ernstem Gesicht zu ihm um. ,,Das Schlimmste was hätte passieren können.“ Zevs Augen weiteten sich.
Ihm kamen plötzlich so viele Bilder in den Sinn. So viele schreckliche Szenarien, dass er unwillkürlich einen Schritt zurück trat.
Unsagbar schreckliche Bilder.
Erinnerungen.
Alles Unglücke, die er zu verantworten hatte.
Wenn ihn diese Szenen einholen, was in letzter Zeit häufiger geschah als früher, dann begann er, wie jetzt auch sich selbst gut zuzureden.
Immer wieder zu sagen, dass dies ein anderes Leben war. Eine andere Zeit. Ein anderes Ich. Er hatte sich geändert.
Eine Ewigkeit hatten sie einfach nur dagestanden. Beide ihren eigenen Gedanken und Erinnerungen nachhängend. 
Zev hatte nichts sagen können. Hätte die Stille nicht unterbrechen können. Zu sehr drückte ihm die Erinnerungen die Kehle zu. 
Erst als er sich wieder beruhigt hatte und seine Lungen langsam wieder mit erfrischender Luft füllen konnte, riss er auch Maelle aus ihren Gedanken.
,,Dir?“ Seine Stimme zitterte dennoch leicht.
Maelle schreckte auf und ihre weiße Haut wurde puderrot. ,,Tut mir leid, ich war plötzlich ganz woanders.“ Zev erwiderte ihre Röte mit einem leichten Lächeln. 
,,Nein, mir ist nichts passiert.“ Maelle stand wartend neben dem Auto, als Zev den Kofferraum öffnete. ,,Meine Schwägerin. Sie hatte einen Unfall.“ Er griff nach Maelles Tasche und warf sie sich über die Schulter.
,,Das tut mir leid.“ Mit einem viel zu lauten Knall schloss sich der Kofferraumdeckel. ,,Standen ihr euch sehr nah?“ Ihr Gesicht spiegelte eine unsagbare Traurigkeit wider. ,,So nah, wie Schwestern.“ Zev stand dort, vollkommen hilflos. Er wollte sie trösten, doch er wusste nicht wie. ,,Das tut mir leid.“ Zev wusste nicht, was er sonst sagen sollte, um sein Mitgefühl auszudrücken. Er hatte das vorher noch nie gemacht. 
Maelle zuckte leicht mit den Schultern. ,,Es ist schon so lange her und sie selbst hatte mir beigebracht nicht in der Vergangenheit zu verharren, sondern die Zukunft in Angriff zu nehmen.“ Maelles Augen straften ihrer Worte Lügen. Doch sie wollte nicht weiter darauf eingehen und streckte ihre rechten Hand aus, um ihm den Rucksack abzunehmen, womit das Thema beendet war. 
Zev stapfte an Maelle vorbei, die ihn zuerst skeptisch ansah und dann kopfschüttelnd hinter ihm ins Haus ging.
,,Also ich hoffe du hast nicht zuviel erwartet.“ Maelle trat durch die kleine Tür ins Haus. ,,Ich habe gar nichts erwartet.“ Als Maelle sich umblickte, starrte Zev sie erwartungsvoll an. Langsam trat sie einen Schritt nach dem anderen in die kleine Hütte hinein, die früher für seine ganze Familie Platz geboten hatte. 
,,Es ist schön hier.“ Maelle ließ sich neben dem Spinnrad fallen, als wäre es das natürlichste der Welt und begann das staubige Rad langsam zu drehen. 
,,Du bist aber nicht oft hier oder?“  Nachdem er die Tasche abgestellt hatte, kam er zu ihr herüber und setzte sich auf die andere Seite des Spinnrades. ,,Ich bin hier aufgewachsen.“ Verblüfft weiteten sich ihre Augen und sie schaute sich noch einmal genauer um. ,,Es ist schon etwas länger her.“ Ein sanftes Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Das Rad drehte sich unablässig zwischen ihnen beiden.  ,,Wo ist deine Familie jetzt?“ Sofort nahm dieser dunkle Fleck sein Herz wieder ein und die Traurigkeit übermannte Zev. Dies passierte jedes Mal, wenn er an seine Familie dachte. Obwohl er niemals wirklich eng mit ihnen verbunden war, so war es doch seine Familie gewesen.  ,,Sie sind gestorben.“ Maelles Mund formte ein überraschtes O, bevor sie betreten auf den Boden blickte. ,,Das tut mir Leid.“ Zev gab dem kurz vor dem Stillstand stehenden Rad noch einmal Anschwung.  ,,Es ist schon lange her. Ich war noch ein Junge. Ich erinnere mich kaum noch an sie.“ Der letzte Teil war natürlich eine glatte Lüge gewesen. Zev erinnerte sich noch genau an sie.  Ähnlich wie Maelle jetzt hatten auch seine Schwestern neben dem Rad gesessen. Ihre blonden Haare waren immer zu dicken Zöpfen geflochten gewesen, die ihnen an der Seite herunterhingen. Umso Älter sie wurden, umso mehr veränderte sich di Frisuren. Lisa, seine älteste, hatte sich selbst die lustigsten und merkwürdigsten Zöpfe in die Haare geflochten.  Maelle schaute ihn mit einem traurigen Lächeln an. ,,Du denkst nicht wirklich, dass ich dir das glaube?“ ,,Was?“ Er löste sich aus seinen Erinnerungen und blickte Maelle in die strahlenden Augen. Sie lächelte noch immer, während sie das Rad wieder ganz leicht drehte.
 Maelle atmete einmal tief ein. ,,Meine Mutter, sie ist gestorben, als ich noch sehr jung war. Ich habe sie leider nie kennen gelernt.“ Jetzt war es Zev der sie betroffen und überrascht ansah.
Ein solches Geständnis hatte er nun wirklich nicht erwartet.  ,,Aber meine Brüder und beide erzählen noch heute von ihr. Sie wissen noch jedes kleinste Detail.“ Langsam stand Maelle auf und kam zu ihm herüber.  ,,Damit meine ich nicht einmal ihr Aussehen, dass kenne ich auch nur zu gut. Nein ich meine die Erlebnisse und Ereignisse, die sie mit ihr geteilt haben. Dinge die, wenn man sie erlebt, als unwichtig betrachtet. An genau so etwas erinnern sie sich und haben mir ganz oft davon erzählt.“  Das Spinnrad hatte endgültig aufgehört zu drehen, als Maelle sich neben Zev setzte.  ,,Möchtest du mir von deiner Familie erzählen?“
Bevor er antwortete sah er sie lange einfach nur an. In gewisser Weise war es ja genau das was er wollte, als er sie hergebracht hatte. Dennoch viel es ihm unglaublich schwer über seine Vergangenheit zu sprechen. Noch nie hatte er jemanden davon erzählt. 
Noch nie hatte sich jemand dafür interessiert. Wie viel konnte er erzählen? Wie viel durfte er erzählen, ohne dass sie ihn für verrückt hielt.
Er fürchtete, dass sie einfach gehen würde, wenn er ihr alles erzählte. Oder noch schlimmer, dass sie ihm glauben würde. Dann nämlich würde, ja musste sie ihn einfach hassen. Er hasste sich ja selbst für all das, was er getan hatte. 
Irgendwann stand er auf und reichte Maelle seine Hand. ,,Komm mit. Wir machen einen kleinen Spaziergang.“ Irritiert griff sie nach seiner Hand und ließ sich ohne Widerstand auf die Füße ziehen. Plötzlich stand sie direkt vor ihm. Viel zu nah. Zevs Atem stockte, als er ihren Duft ein sog. Ihr Haar roch nach Schokolade und Minze. 
So wie alles an ihr irgendwie einzigartig und besonders war, so war es selbst ihr Duft. Zev fragte sich, woran Maelle wohl in diesem Moment dachte und er wäre gerne mutig genug, sie zu fragen. War er aber nicht. Stattdessen trat er einen Schritt zurück. Maelle hatte ihren Blick nach unten gerichtet. 
Sie lächelte. 
Die Sonne war bereits untergegangen und hatte den Wald in absoluter Dunkelheit zurückgelassen. Sie ging neben ihm her und Zev spürte, dass sie besonders darauf achtete ruhig zu atmen. Er sprach sie nicht darauf an, sondern ging, den schmalen Pfad folgend immer tiefer in den Wald. 
Zev hatte ein genaues Ziel vor Augen, doch das verriet er ihr nicht. Schließlich sollte es eine Überraschung sein. Plötzlich endete der Pfad vor einem kleinen Brunnen, der dort bereits stand, so lange Zev denken konnte. Früher war er überlebenswichtig für sie gewesen, doch heute lag er ausgetrocknet und verlassen da. Ohne anzuhalten bog Zev rechts ab und marschierte in den Wald hinein. Er war bereits einige Meter voran gegangen, als er bemerkte, dass Maelle ihn nicht begleitet hatte. 
Völlig verloren stand sie am Rand des Weges und blickte irritiert zwischen die dunklen Tannen hindurch. Zev kam sofort zu ihr zurück und blieb direkt vor ihr stehen. ,,Alles in Ordnung?“ Ein scheues Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie leicht nickte. Kurz überlegte Zev ob es nicht klüger wäre zurück zu gehen, scheinbar hatte sie wirklich Probleme mit dem Wald. Ja sogar eine, für ihn unerklärliche Angst davor. 
Doch stattdessen folgte er einem Impuls und ergriff ihre Hand, um  sie sanft weiter hinein  zu ziehen. Ohne den geringsten Widerstand ließ sie sich von ihm führen. Keiner von beiden sprach, während er sie durch die Wirrungen des Waldes führte. 
Er bewegte sich schnellen Schrittes und ohne irgendwelche Probleme hindurch. Schließlich war dies seine Heimat. Er kannte jeden Ast und jeden Stamm und wusste wie er den einzelnen Felsen und Sträucher ausweichen musste. 
Maelle hingegen hatte deutlich mehr Probleme. Sie stolperte ziemlich häufig und als sie tatsächlich beinahe einmal hinfiel, konnte Zev sie gerade so auffangen. 


Dennoch hatte sie sich irgendwann ohne etwas zu sagen auf einen umgefallenen Stamm gesetzt und atmete unruhig. ,,Tut mir leid, ich hätte nicht gedacht, dass du den Wald so fürchten würdest. Wir können auch zurückgehen.“ Er kniete sich neben sie und blickte besorgt in ihr rot verfärbtes Gesicht. Maelle blickte ihm fest in die Augen, als sich überraschenderweise ein Lächeln auf ihre Lippen formte. ,,Ich habe doch keine Angst vor dem Wald.“ Sie rieb ihren Knöchel. ,,Ich bin einfach trotteliger als du. Lass uns weitergehen. Jetzt bin ich noch gespannter was du mir zeigen möchtest.“ Sie sprang auf ihre Füße, wodurch sich ihr zauberhaftes Gesicht für einen Augenblick in einen schmerzverzerrte Grimasse verwandelete. ,,Aber bitte etwas langsamer." Als Zev ungläubig die Augenbrauen hob, lächelte sie ihn schief an. 
Wieder senkte Maelle ganz langsam ihren Fuß in das kühle Nass und zuckte nur kurz zusammen, als er durch die Oberfläche des Wassers brach. Als ihr zweiter Fuß ebenfalls im blau des Wassers verschwunden war, lächelte sie ihn stolz an. Er erwiderte ihr Lächeln und blickte dann über den See, der kristallklar und ruhig vor ihnen lag. Eine Libelle flog direkt auf sie zu, um im letzten Moment doch eine scharfe Kurve zu fliegen und sich am Ufer nieder zu lassen. Alles an dieser Szene war so unglaublich friedlich.
Sie saßen beide schweigend nebeneinander, blickten in die sternenklare Nacht und zum ersten Mal seit langer Zeit,
fühlte sich Zev irgendwie wirklich glücklich. Er hatte begonnen vorsichtig über Maelles Handrücken zu streichen, ohne es wirklich bemerkt zu haben.
Sie hatte weder ihre Hand weggezogen, noch irgendetwas gesagt. Stattdessen blickte sie  mit einem sanften Lächeln au
f den Lippen noch immer
fasziniert über den See. Die vielen Lichter der Glühwürmchen hatten es ihr eindeutig angetan.
Eine ganze Weile saßen sie so schweigend nebeneinander. Beide in den eigenen Gedanken versunken,
als Maelle zittrige Stimme ihn aus diesen riss. ,,Zev?“ 

Ein Glühwürmchen war zu ihr heran geflogen und hatte sich tatsächlich auf ihrem Knie niedergelassen. Zev hatte noch nie erlebt, dass eines dieser scheuen Kreaturen von sich aus so nah kam. Es folgte noch mehr seinem Beispiel und plötzlich waren sie umringt von kleinen leuchtenden Käfern. Jedoch schien Maelle keineswegs so fasziniert oder glücklich darüber zu sein wie Zev. Ihr Gesicht zeigte  zwar kein Ekel, dafür aber pure Angst. Sie starrte die kleinen Lichter um sie herum so voller Furcht an, dass Zev nicht anders konnte, als laut aufzulachen. Dies ließ alle Käfer vor Schreck gleichzeitig in die Luft stiegen und in den Nachthimmel verschwanden. Es war ein magischer Anblick. Darauf folgte eine ebenso unglaubliche Dunkelheit. ,,Oh, jetzt habe ich sie verscheucht.“ In Zevs Stimme lag echtes Bedauern. Doch Maelle strich sich nur unbehaglich über die eigenen Arme und Zev konnte ihre Gänsehaut selbst in der Dunkelheit gut erkennen. ,,Das macht gar nichts.“ Noch immer zitterte ihre Stimme leicht. ,,Wie kannst du Angst vor Glühwürmchen haben?“ Ihr Blick war vernichtend.
,,Ich habe keine Angst. Ich mag sie nur nicht besonders.“
Spöttisch blickte Zev zu ihr herüber. ,,Nur Glühwürmchen oder generell keine Insekten.“ Vorsichtig zog sie ihre Füße
aus dem Wasser
und ließ sie in der Luft abtropfen. 

,,Ja, ich besitze auch Fehler.“
Zuerst dachte Zev, sie wäre tatsächlich wütend, doch dann zwinkerte sie ihm lächelnd zu. ,,Maelle kann ich dich etwas fragen?“ Nun saß sie ihm zugewandt. Maelles Arme umfassten ihre Knie und ihre nackten Füße lagen zwischen ihnen.
,,Klar, alles was du möchtest.“ Sie legte ihren Kopf sanft auf die Knie und lächelte zu ihm herüber. Ihre grünen Augen strahlten in der Dunkelheit. Er lehnte sich etwas zu ihr herüber. ,,Warum hast du es gerade auf mich abgesehen?“
 

Copyright © Julia


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen