Richtig viel Mühe hat sich Matthias Czarnetzki der Autor von Lutetia Stubbs - KellerLeichen für dieses kleine Interview gemacht und wirklich spannende, humorvolle und auch lehrreiche Antworten gegeben, die ich euch natürlich nicht vorenthalten möchte.
Stell Dich doch bitte einmal kurz vor.
Netter Herr,
schüchtern, unauffällig, freundlich.
Ist jemandem schon
mal aufgefallen, dass Schriftsteller und Serienmörder die gleiche Beschreibung
haben?
Aber nun noch ein
paar Fakten: ich bin noch nicht vierzig (gefühlt eher fünfundzwanzig), sehe aus
wie eine Mischung aus Daniel Craig und Harrison Ford, bin verheiratet, lebe in
Leipzig und arbeite als Software-Architekt (früher sagte man Programmierer,
aber das klingt nicht so cool). Meine Freizeit gehört meinem Sohn, dem Lesen
und dem Schreiben - und ich befürchte auch in dieser Reihenfolge.
Wie bist Du zum
Schreiben gekommen und wann hattest Du deine ersten Gehversuche unternommen?
Zum Schreiben bin
ich durchs Lesen von Karl May gekommen. Ich weiß noch, dass ich an einer Stelle
- ich weiß aber nicht mehr, in welchem Buch - der festen Überzeugung war, dass
es hier anders weitergehen müsste. Also habe ich mir ein neues Ende ausgedacht.
Und dieses neue Ende passte auch besser zu einem neuen Anfang; damit war die
erste Geschichte fertig. Nun sind solche ausgedachten Geschichten sehr
flüchtig, deshalb habe ich angefangen, sie aufzuschreiben. Was nicht so einfach
ist, wie es sich anhört, wenn etwas Besseres als Langeweile rauskommen soll.
Wo schreibst Du am
Liebsten? Hast Du besondere "Rituale" beim Schreiben? Wie sieht Dein
Schreib-Alltag aus beziehungsweise. wie gestaltest Du das Schreiben? Hast Du
eventuell auch schon Erfahrung mit Schreibblockaden machen müssen und hast Du
Tipps für junge Autoren damit umzugehen?
Mein Schreibritual
ist eigentlich eine Schreibroutine und hat viel damit zu tun, Schreibblockaden
zu vermeiden. So schreibe ich meine Bücher an einem Uralt-Laptop, dessen
wichtigstes Feature die fehlende Internetverbindung ist. Um genau zu sein, hat
er nicht mal eine grafische Benutzeroberfläche. Das macht es an diesem Gerät
schwer, sich durch eMails, Twitter & Co. abzulenken.
Außerdem ist
wirklich unglaublich wichtig, jeden Tag zu schreiben - es muss nicht mal viel
sein. Richard Norden hat in einem Blogpost vor kurzem ausgerechnet, dass
J.K.Rowling für alle Harry Potter Bände sechzehn Jahre gebraucht hat - das sind
185 Wörter pro Tag.
Runden wir das auf
200 Wörter - die sind in einer halben Stunde zu schaffen. Eine halbe Stunde
eher aufstehen, hinsetzen, schreiben, fertig. Ich schreibe am liebsten in
meinem Arbeits/Lesezimmer. Dessen Wände sind alle mit Regalen zugestellt, die
mit - nach Zählung beim letzten Umzug - 1016 Büchern gefüllt sind. (Ein Umzug
mit 1016 Büchern ist übrigens ein großartiges Argument Pro EReader)
Und um zu
garantieren, dass ich in der halben Stunde auch etwas zu schreiben habe,
skizziere ich mir bereits am Ende meiner Schreibzeit die Szene für den nächsten
Tag und denke bis dahin immer wieder darüber nach: male mir den Handlungsort
aus, probiere Dialoge, Verläufe und Details aus und schreibe wichtige
Erkenntnisse in ein Notizbuch. Damit muss ich mir nicht erst mühsam an der Tastatur alles ausdenken. Und wenn es
einmal läuft, dann halte ich auch nicht nach zweihundert Worten an.
Wie entstehen die
Protagonisten Deines Buches? Sind Deine Figuren immer rein fiktiv oder lässt Du
dich auch von realen Personen inspirieren? Was hat dich zu dieser Geschichte
inspiriert? Wann kam dir die Idee? Wie kamst du auf die Idee deines Buches? War
es eher ein spontaner Einfall? Ein Traum? Oder wurdest du von etwas inspiriert?
Dein Buch spielt ja in einer Kleinstadt in England. Wie kamst du auf diese
Kulisse? Warum hast du dich gerade für diesen Hintergrund entschieden?
Ich habe meinen
Zivildienst auf einer chirurgischen Intensivstation abgeleistet und dabei mehr
Menschen sterben sehen, um noch Scheu vor dem Tod zu haben. Mein erster Job als
selbständiger Softwareentwickler war der Internetauftritt eines
Bestattungsinstituts. Das Original der Burg, in der die Stubbs leben, steht in
Irland, in der Nähe von Shannon. Lutetia ist so, wie ich gerne wäre, George ist
eher so geraten, wie ich bin. Harold heißt auch im wirklichen Leben Harold und
ist auch im wirklichen Leben Mathematikprofessor. Pierre Bellemare ist ein
französischer Radio und TV Moderator, der eine Sendereihe mit unglaublichen,
aber wahren Begebenheiten hatte; unter anderem Die schwarze Hochzeit, bei der
die Braut während der Feierlichkeiten verschwand und ihre Überreste erst hundert
Jahre später in einem Geheimverlies gefunden wurden.
Ich glaube, dass ich
zu fast allem, was ich aufschreibe, irgendwann mal etwas erlebt habe. Ich
sammle kleine Fakten, Geschichten, Einzelheiten, Gesprächsfetzen. Aber ich
bewahre, verändere, vergrößere, verzerre, spiegle sie, erschaffe daraus Neues
und webe meine eigenen Geschichten.
Und wie kam ich auf
Borough? Ich habe in England studiert. In Bolton, um genau zu sein, eine Stadt
fünfzehn Meilen nördlich von Manchester. Als ich nach England ging, dachte ich,
der typische Engländer sei Patrick McNeal in Mit Schirm, Charme und Melone,
stellte aber fest, dass Vivienne Westwood eher dem Durchschnitt entspricht. Auf
der Insel findet jeder Spleen seinen Menschen und dort ist der Begriff normales
Verhalten viel weiter gefasst als hier. Ich finde, dass es keinen Ort auf der
Welt gibt, in dem so bizarre Dinge passieren können, wie in einer englischen
Kleinstadt. Borough existiert nicht so ein einem Stück - es ist aus Teilen der
Orte zusammengesetzt, durch die mich damals meine Wanderungen und
Fahrradtouren geführt haben.
Was bereitet Dir
mehr Schwierigkeiten? Der Anfang oder das Ende Deines Buches?
Das Ende. Für den
Anfang habe ich immer genug Ideen - aber wenn sich ein Buch, mit dem man Jahre
verbracht hat, sich dem Ende nähert, dann kommen Zweifel auf. Ist es schon so
weit? Kommt es allein da draußen zurecht? Tut ihm auch keiner weh? Werden es
alle lieb haben?
Das ist echt nicht
einfach.
Nach welchen
Kriterien hast Du dich für dein Cover entschieden beziehungsweise. wie kamst Du
auf deine Idee?
Der Friedhof von
Kreischau liegt auf einem kleinen Hügel außerhalb der Ortschaft. Wenn man
abends das Dorf über die Hauptstraße verlässt, scheint die Sonne durch die
gegenüberliegenden Fenster der kleinen Friedhofskapelle. Ich bin zufällig genau
zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen - als ich das sah, wusste ich, wie
mein Cover aussehen musste. Ich habe das Bild nach und nach immer weiter
angepasst - das Cover der Druckausgabe ist detailreicher und farbiger, während
das der eBook-Version auf bessere Sichtbarkeit in der Thumbnail-Anzeige
optimiert ist.
Wie hast Du deinen
Titel gefunden?
Durch langes und
mühevolles suchen. Der Titel soll ja in einem oder wenigen Worten sagen, was
das Buch ist, seine Quintessenz. Für das aktuelle Buch habe ich ihn noch nicht
- da hoffe ich auf einen Gedankenblitz in näherer Zukunft.
Welcher Zielgruppe
würdest Du deine Bücher am ehesten empfehlen?
Menschen wie ich:
intelligent, humorvoll, gutaussehend (letzteres ist optional) ;-) Aber im
Ernst: Leser, die Tom Sharpe und Terry Pratchett mögen, werden sich bei mir
wohl fühlen. Meine Krimis sind keine Whodunits sondern mehr Catch me, if you
cans. Dabei geht es absurd und skurril zu, aber nie unrealistisch. Genau das
Richtige, um sich nach Feierabend von einem anstrengenden
Arbeitstag/Chef/Kunden zu erholen - und das auch nach dem zweiten oder dritten
Lesen noch Spaß macht.
Darf man sich
(speziell ich) auf weitere Teile freuen?
Man darf. Herz aus
Stein ist ja schon veröffentlicht. Ich schreibe gerade am dritten
"richtigen" Buch und habe schon Pläne für dessen Nachfolger. Da ich
nun schon so lange mit Lutetia zu tun habe, ist sie wie eine gute Freundin von
mir und wird mich wohl begleiten, bis ich den Griffel aus der Hand lege.
Zwischendurch ist
immer noch Zeit für Kurzgeschichten und Novellen. Da passen Ideen rein, die für
ein ganzes Buch zu dünn sind - oder die chronologisch gesehen zwischen zwei
Büchern liegen. "Karrierepfade"
ist so eine Geschichte - wer Lutetia kennen lernen will, dann sich das eBook
von meiner Website herunterladen. Das gleiche gilt für "Die Beerdigung von Adalbert
Finley". Den Kurzroman gibt's nach Anmeldung als VIP-Leser geschenkt.
Der
Indie-Buchmarkt ist ja ein umstrittenen Thema, dennoch wächst der Markt von Tag
zu Tag, was sagst du denn dazu? Wie sind deine Erfahrungen?
Ohne die Möglichkeit
der verlagsunabhängigen Veröffentlichung würde Lutetia heute noch in der
Schublade liegen. Denn die Geschichte ist zwar gut - wie mir von Verlagen
bestätigt wurde - aber für diese Art Bücher sei kein Markt vorhanden. Das
stimmt, denn ich stelle wirklich hohe Anforderungen an meine Leser und meine
Zielgruppe ist nicht sehr groß. Und ich denke, dass es viele Autoren gibt,
denen es ähnlich geht.
Klassische Verlage
sind gezwungen, wirtschaftlich zu arbeiten - schließlich wollen die
Angestellten bezahlt und Rechnungen beglichen werden. Durch die Globalisierung
und BWL-Verseuchung der Wirtschaft wird aber der Profitgedanke über alles
gestellt und das Buch zum reinen Wirtschaftsobjekt. Das führt dazu, dass über
die Verlage und den Buchhandel zum großen Teil nur noch massenkompatible Ware
produziert wird, die hohe Rendite verspricht.
Indie-Autoren
brauchen diese hohe Rendite nicht - für sie sind schon wesentlich geringere
Auflagen wirtschaftlich. Deshalb bekommt die Buchlandschaft durch die Indies
Vielfalt und Abwechslungsreichtum zurück. Denn durch Ausbeutung aktueller
Trends stelle ich in den Buchhandlungen eine gewisse Monotonie fest. Man
braucht nur mal in den Laden seiner Wahl zu gehen, sich die Regalwand
anzuschauen und gedanklich alle Vampirschmonzetten raus zu nehmen. Was übrig
bleibt sind große Lücken. Die Indie-Szene bietet ihren Lesern dagegen eine viel
breitere Auswahl.
Nun hat der
Indie-Buchmarkt aber auch mit Schattenseiten zu kämpfen. Denn dort kann
wirklich jeder alles veröffentlichen und das wurde/wird auch gemacht. Die
Möglichkeit zur einfachen Veröffentlichung ist aber keine Entschuldigung für
ein schlechtes Buch. Das Argument "Für 99 Cent soll der Leser mal nicht
mehr erwarten" ist einfach nur eine Frechheit. Wenn ich auf meinen Ruf als
Autor Wert lege, dann muss mein Buch auch höchsten Ansprüchen genügen. Und ich
denke, dass die Indies sich zunehmend professionalisieren werden. Das Bücher
vor der Veröffentlichung ein professionelles Korrektorat durchlaufen, das die eBook-Konvertierung
durch Dienstleister vorgenommen wird, wenn man selbst nicht der IT-Crack ist,
das die Cover von Designern gestaltet werden. Nur hohe Qualität wird in Zukunft
der Schlüssel zum anhaltenden Erfolg beim Leser sein.
Welches Buch hat
einen nachhaltigen Eindruck bei Dir hinterlassen und ist aus Deinem Bücherregal
nicht mehr wegzudenken?
John Steinbeck - Von
Mäusen und Menschen. Das ist ein relativ dünnes Buch, was daran liegt, dass es
kein einziges überflüssiges Wort enthält und dadurch eine unglaublich intensive
emotionale Wirkung erzielt. Es gibt dazu auch eine Verfilmung mit Gary Sinise,
einer der wenigen Filme, der seinem Buch gerecht wird.
Wenn Du in Dein
eigenes Bücherregal schaust - welches Genre ist hier am meisten vertreten?
Bücher über
Mathematik, Logik, Programmierung, Schach. Es gibt nichts Entspannenderes als
ein gutes Buch über numerische Mathematik. Ich bemühe mich ständig, neue Dinge
außerhalb meines normalen Horizonts zu lesen. Kürzlich fiel mir "Die Macht
der Mikroben" in die Hände. Das ist wirklich wunderbar geschrieben - am
Ende könnte man meinen, Biologie sei eine richtige Wissenschaft!
Bei der Belletristik
stehen natürlich alle Bücher von Terry Pratchett im Regal, aber in den letzten
Jahren steigt der Krimi-Anteil. Dazu gehören die Klassiker von Doyle, Wallace
und Christie oder die neuere Riege mit Evanovich, Swann und Klüpfl/Kobr. Alles,
wo man den Kopf benutzen und miträtseln kann - bluttriefende Gewaltorgien sind
nicht meine Sache.
Mit welcher
literarischen Figur würdest Du gerne einmal einen Tag verbringen?
Lord Vetinari. Mich
würde interessieren, ob Lutetia von ihm noch was lernen kann.
Danke :)
Gern geschehen!
Weitere interessante Fakten gibt es auf der Internetseite von Matthias Czarnetzki
Copyright © Julia
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen