Montag, 19. August 2013

Interview mit Matthias Czarnetzki


Richtig viel Mühe hat sich Matthias Czarnetzki der Autor von Lutetia Stubbs - KellerLeichen für dieses kleine Interview gemacht und wirklich spannende, humorvolle und auch lehrreiche Antworten gegeben, die ich euch natürlich nicht vorenthalten möchte.



Stell Dich doch bitte einmal kurz vor.

Netter Herr, schüchtern, unauffällig, freundlich.
Ist jemandem schon mal aufgefallen, dass Schriftsteller und Serienmörder die gleiche Beschreibung haben?

 
Aber nun noch ein paar Fakten: ich bin noch nicht vierzig (gefühlt eher fünfundzwanzig), sehe aus wie eine Mischung aus Daniel Craig und Harrison Ford, bin verheiratet, lebe in Leipzig und arbeite als Software-Architekt (früher sagte man Programmierer, aber das klingt nicht so cool). Meine Freizeit gehört meinem Sohn, dem Lesen und dem Schreiben - und ich befürchte auch in dieser Reihenfolge.


Wie bist Du zum Schreiben gekommen und wann hattest Du deine ersten Gehversuche unternommen?

Zum Schreiben bin ich durchs Lesen von Karl May gekommen. Ich weiß noch, dass ich an einer Stelle - ich weiß aber nicht mehr, in welchem Buch - der festen Überzeugung war, dass es hier anders weitergehen müsste. Also habe ich mir ein neues Ende ausgedacht. Und dieses neue Ende passte auch besser zu einem neuen Anfang; damit war die erste Geschichte fertig. Nun sind solche ausgedachten Geschichten sehr flüchtig, deshalb habe ich angefangen, sie aufzuschreiben. Was nicht so einfach ist, wie es sich anhört, wenn etwas Besseres als Langeweile rauskommen soll.

Wo schreibst Du am Liebsten? Hast Du besondere "Rituale" beim Schreiben? Wie sieht Dein Schreib-Alltag aus beziehungsweise. wie gestaltest Du das Schreiben? Hast Du eventuell auch schon Erfahrung mit Schreibblockaden machen müssen und hast Du Tipps für junge Autoren damit umzugehen?

Mein Schreibritual ist eigentlich eine Schreibroutine und hat viel damit zu tun, Schreibblockaden zu vermeiden. So schreibe ich meine Bücher an einem Uralt-Laptop, dessen wichtigstes Feature die fehlende Internetverbindung ist. Um genau zu sein, hat er nicht mal eine grafische Benutzeroberfläche. Das macht es an diesem Gerät schwer, sich durch eMails, Twitter & Co. abzulenken.

Außerdem ist wirklich unglaublich wichtig, jeden Tag zu schreiben - es muss nicht mal viel sein. Richard Norden hat in einem Blogpost vor kurzem ausgerechnet, dass J.K.Rowling für alle Harry Potter Bände sechzehn Jahre gebraucht hat - das sind 185 Wörter pro Tag.

Runden wir das auf 200 Wörter - die sind in einer halben Stunde zu schaffen. Eine halbe Stunde eher aufstehen, hinsetzen, schreiben, fertig. Ich schreibe am liebsten in meinem Arbeits/Lesezimmer. Dessen Wände sind alle mit Regalen zugestellt, die mit - nach Zählung beim letzten Umzug - 1016 Büchern gefüllt sind. (Ein Umzug mit 1016 Büchern ist übrigens ein großartiges Argument Pro EReader)

Und um zu garantieren, dass ich in der halben Stunde auch etwas zu schreiben habe, skizziere ich mir bereits am Ende meiner Schreibzeit die Szene für den nächsten Tag und denke bis dahin immer wieder darüber nach: male mir den Handlungsort aus, probiere Dialoge, Verläufe und Details aus und schreibe wichtige Erkenntnisse in ein Notizbuch. Damit muss ich mir nicht erst mühsam  an der Tastatur alles ausdenken. Und wenn es einmal läuft, dann halte ich auch nicht nach zweihundert Worten an.

Wie entstehen die Protagonisten Deines Buches? Sind Deine Figuren immer rein fiktiv oder lässt Du dich auch von realen Personen inspirieren? Was hat dich zu dieser Geschichte inspiriert? Wann kam dir die Idee? Wie kamst du auf die Idee deines Buches? War es eher ein spontaner Einfall? Ein Traum? Oder wurdest du von etwas inspiriert? Dein Buch spielt ja in einer Kleinstadt in England. Wie kamst du auf diese Kulisse? Warum hast du dich gerade für diesen Hintergrund entschieden?

Ich habe meinen Zivildienst auf einer chirurgischen Intensivstation abgeleistet und dabei mehr Menschen sterben sehen, um noch Scheu vor dem Tod zu haben. Mein erster Job als selbständiger Softwareentwickler war der Internetauftritt eines Bestattungsinstituts. Das Original der Burg, in der die Stubbs leben, steht in Irland, in der Nähe von Shannon. Lutetia ist so, wie ich gerne wäre, George ist eher so geraten, wie ich bin. Harold heißt auch im wirklichen Leben Harold und ist auch im wirklichen Leben Mathematikprofessor. Pierre Bellemare ist ein französischer Radio und TV Moderator, der eine Sendereihe mit unglaublichen, aber wahren Begebenheiten hatte; unter anderem Die schwarze Hochzeit, bei der die Braut während der Feierlichkeiten verschwand und ihre Überreste erst hundert Jahre später in einem Geheimverlies gefunden wurden.

Ich glaube, dass ich zu fast allem, was ich aufschreibe, irgendwann mal etwas erlebt habe. Ich sammle kleine Fakten, Geschichten, Einzelheiten, Gesprächsfetzen. Aber ich bewahre, verändere, vergrößere, verzerre, spiegle sie, erschaffe daraus Neues und webe meine eigenen Geschichten.

Und wie kam ich auf Borough? Ich habe in England studiert. In Bolton, um genau zu sein, eine Stadt fünfzehn Meilen nördlich von Manchester. Als ich nach England ging, dachte ich, der typische Engländer sei Patrick McNeal in Mit Schirm, Charme und Melone, stellte aber fest, dass Vivienne Westwood eher dem Durchschnitt entspricht. Auf der Insel findet jeder Spleen seinen Menschen und dort ist der Begriff normales Verhalten viel weiter gefasst als hier. Ich finde, dass es keinen Ort auf der Welt gibt, in dem so bizarre Dinge passieren können, wie in einer englischen Kleinstadt. Borough existiert nicht so ein einem Stück - es ist aus Teilen der Orte zusammengesetzt, durch die mich damals meine Wanderungen und Fahrradtouren  geführt haben.

Was bereitet Dir mehr Schwierigkeiten? Der Anfang oder das Ende Deines Buches?

Das Ende. Für den Anfang habe ich immer genug Ideen - aber wenn sich ein Buch, mit dem man Jahre verbracht hat, sich dem Ende nähert, dann kommen Zweifel auf. Ist es schon so weit? Kommt es allein da draußen zurecht? Tut ihm auch keiner weh? Werden es alle lieb haben?

Das ist echt nicht einfach.

Nach welchen Kriterien hast Du dich für dein Cover entschieden beziehungsweise. wie kamst Du auf deine Idee?

Der Friedhof von Kreischau liegt auf einem kleinen Hügel außerhalb der Ortschaft. Wenn man abends das Dorf über die Hauptstraße verlässt, scheint die Sonne durch die gegenüberliegenden Fenster der kleinen Friedhofskapelle. Ich bin zufällig genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen - als ich das sah, wusste ich, wie mein Cover aussehen musste. Ich habe das Bild nach und nach immer weiter angepasst - das Cover der Druckausgabe ist detailreicher und farbiger, während das der eBook-Version auf bessere Sichtbarkeit in der Thumbnail-Anzeige optimiert ist.


Wie hast Du deinen Titel gefunden?

Durch langes und mühevolles suchen. Der Titel soll ja in einem oder wenigen Worten sagen, was das Buch ist, seine Quintessenz. Für das aktuelle Buch habe ich ihn noch nicht - da hoffe ich auf einen Gedankenblitz in näherer Zukunft.

Welcher Zielgruppe würdest Du deine Bücher am ehesten empfehlen?

Menschen wie ich: intelligent, humorvoll, gutaussehend (letzteres ist optional) ;-) Aber im Ernst: Leser, die Tom Sharpe und Terry Pratchett mögen, werden sich bei mir wohl fühlen. Meine Krimis sind keine Whodunits sondern mehr Catch me, if you cans. Dabei geht es absurd und skurril zu, aber nie unrealistisch. Genau das Richtige, um sich nach Feierabend von einem anstrengenden Arbeitstag/Chef/Kunden zu erholen - und das auch nach dem zweiten oder dritten Lesen noch Spaß macht.

Darf man sich (speziell ich) auf weitere Teile freuen?

Man darf. Herz aus Stein ist ja schon veröffentlicht. Ich schreibe gerade am dritten "richtigen" Buch und habe schon Pläne für dessen Nachfolger. Da ich nun schon so lange mit Lutetia zu tun habe, ist sie wie eine gute Freundin von mir und wird mich wohl begleiten, bis ich den Griffel aus der Hand lege.

Zwischendurch ist immer noch Zeit für Kurzgeschichten und Novellen. Da passen Ideen rein, die für ein ganzes Buch zu dünn sind - oder die chronologisch gesehen zwischen zwei Büchern liegen. "Karrierepfade" ist so eine Geschichte - wer Lutetia kennen lernen will, dann sich das eBook von meiner Website herunterladen. Das gleiche gilt für "Die Beerdigung von Adalbert Finley". Den Kurzroman gibt's nach Anmeldung als VIP-Leser geschenkt.

Der Indie-Buchmarkt ist ja ein umstrittenen Thema, dennoch wächst der Markt von Tag zu Tag, was sagst du denn dazu? Wie sind deine Erfahrungen?

Ohne die Möglichkeit der verlagsunabhängigen Veröffentlichung würde Lutetia heute noch in der Schublade liegen. Denn die Geschichte ist zwar gut - wie mir von Verlagen bestätigt wurde - aber für diese Art Bücher sei kein Markt vorhanden. Das stimmt, denn ich stelle wirklich hohe Anforderungen an meine Leser und meine Zielgruppe ist nicht sehr groß. Und ich denke, dass es viele Autoren gibt, denen es ähnlich geht.

Klassische Verlage sind gezwungen, wirtschaftlich zu arbeiten - schließlich wollen die Angestellten bezahlt und Rechnungen beglichen werden. Durch die Globalisierung und BWL-Verseuchung der Wirtschaft wird aber der Profitgedanke über alles gestellt und das Buch zum reinen Wirtschaftsobjekt. Das führt dazu, dass über die Verlage und den Buchhandel zum großen Teil nur noch massenkompatible Ware produziert wird, die hohe Rendite verspricht.

Indie-Autoren brauchen diese hohe Rendite nicht - für sie sind schon wesentlich geringere Auflagen wirtschaftlich. Deshalb bekommt die Buchlandschaft durch die Indies Vielfalt und Abwechslungsreichtum zurück. Denn durch Ausbeutung aktueller Trends stelle ich in den Buchhandlungen eine gewisse Monotonie fest. Man braucht nur mal in den Laden seiner Wahl zu gehen, sich die Regalwand anzuschauen und gedanklich alle Vampirschmonzetten raus zu nehmen. Was übrig bleibt sind große Lücken. Die Indie-Szene bietet ihren Lesern dagegen eine viel breitere Auswahl.

Nun hat der Indie-Buchmarkt aber auch mit Schattenseiten zu kämpfen. Denn dort kann wirklich jeder alles veröffentlichen und das wurde/wird auch gemacht. Die Möglichkeit zur einfachen Veröffentlichung ist aber keine Entschuldigung für ein schlechtes Buch. Das Argument "Für 99 Cent soll der Leser mal nicht mehr erwarten" ist einfach nur eine Frechheit. Wenn ich auf meinen Ruf als Autor Wert lege, dann muss mein Buch auch höchsten Ansprüchen genügen. Und ich denke, dass die Indies sich zunehmend professionalisieren werden. Das Bücher vor der Veröffentlichung ein professionelles Korrektorat durchlaufen, das die eBook-Konvertierung durch Dienstleister vorgenommen wird, wenn man selbst nicht der IT-Crack ist, das die Cover von Designern gestaltet werden. Nur hohe Qualität wird in Zukunft der Schlüssel zum anhaltenden Erfolg beim Leser sein.

Welches Buch hat einen nachhaltigen Eindruck bei Dir hinterlassen und ist aus Deinem Bücherregal nicht mehr wegzudenken?

John Steinbeck - Von Mäusen und Menschen. Das ist ein relativ dünnes Buch, was daran liegt, dass es kein einziges überflüssiges Wort enthält und dadurch eine unglaublich intensive emotionale Wirkung erzielt. Es gibt dazu auch eine Verfilmung mit Gary Sinise, einer der wenigen Filme, der seinem Buch gerecht wird.

Wenn Du in Dein eigenes Bücherregal schaust - welches Genre ist hier am meisten vertreten?

Bücher über Mathematik, Logik, Programmierung, Schach. Es gibt nichts Entspannenderes als ein gutes Buch über numerische Mathematik. Ich bemühe mich ständig, neue Dinge außerhalb meines normalen Horizonts zu lesen. Kürzlich fiel mir "Die Macht der Mikroben" in die Hände. Das ist wirklich wunderbar geschrieben - am Ende könnte man meinen, Biologie sei eine richtige Wissenschaft!

Bei der Belletristik stehen natürlich alle Bücher von Terry Pratchett im Regal, aber in den letzten Jahren steigt der Krimi-Anteil. Dazu gehören die Klassiker von Doyle, Wallace und Christie oder die neuere Riege mit Evanovich, Swann und Klüpfl/Kobr. Alles, wo man den Kopf benutzen und miträtseln kann - bluttriefende Gewaltorgien sind nicht meine Sache.

Mit welcher literarischen Figur würdest Du gerne einmal einen Tag verbringen?

Lord Vetinari. Mich würde interessieren, ob Lutetia von ihm noch was lernen kann.


Danke :)

Gern geschehen!

Weitere interessante Fakten gibt es auf der Internetseite von Matthias Czarnetzki

 

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